St. Bonifatius Wiesbaden

Heilige des Monats: Gregor der Große

Gemeindebrief, Theologie SpiritualitätPhilippe Jaeck

Gregor der Große als Heiliger des Monats? Ja, werden die einen sagen, schließlich ist Gregor einer der bekanntesten Heiligen in der katholischen Kirche. Aber vielleicht werden die einen oder anderen auch anmerken, dass eine Vorstellung eines so prominenten Heiligen eigentlich nicht notwendig sei. In der Tat, wo sollte man bei seinem vielfältigen Wirken auch ansetzen? Dass er Karriere als Stadtpräfekt in Rom machte, seine Laufbahn aber beendete, um ein Kloster zu gründen? Oder dass er als Diakon sehr geschickt die kirchliche Verwaltung leitete, bevor er 590 zum Papst gewählt wurde. Aufgrund der Epoche nannte man ihn den „letzten Römer“ und den ersten „mittelalterlichen Papst“.

Als Papst sah er sich nicht als Herrscher, sondern ihm war der Dienst an der Kirche wichtig. Dies wurde konkret, als Hochwasser schwere Seuchen über Rom brachte, und er sich um die Bevölkerung sorgte. Auch seine geschickte Politik und diplomatisches Handeln zeugten von seiner durch und durch pastoralen Ausrichtung. Sein Erbe ist reichhaltig, 854 Briefe, Kommentare und Predigten. Nicht zu vergessen sein Eifer für die Musik, der gregorianische Choral erfreut uns heute noch. Wo kann man da für eine Vorstellung ansetzen?

Die heutige Vorstellung ist ein kleines Experiment, denn im Fokus steht eine Auslegung von Gregor über einen biblischen Vers aus dem Buch Ezechiel.

Vorweg lässt sich sagen, dass es durchaus spannend, aber auch philosophisch wird. Der Prophet Ezechiel (597 v. Chr.) war ein Visionär und so finden wir im 40. Kapitel die Vision vom neuen Israel. Dort beschreibt er die Sicht eines Tempel und so heißt es in Ez 40,13: Und er maß das Tor vom Dach der einen Kammer bis zum Dach der anderen: eine Breite von fünfundzwanzig Ellen. Eine architektonische Beschreibung? Mitnichten. Gregor schreibt dazu: „Wir haben […] gesagt, dass mit dem Tor der Glaube bezeichnet werden könne.“ Aber in dem Tor sieht er neben dem Glauben auch die Heilige Schrift, die uns den Glauben erschließt und den Weg hin zu Christus führt. Gregor übersetzt weiter: „Die Kammer hat ein Dach, weil die Gesinnung der Liebenden […] noch im Verborgenen ist. Auch das Tor hat ein Dach, denn die Heilige Schrift […] wird indes von uns nicht zur Gänze verstanden.“ Das bedeutet konkret: Mit unserem Glauben gehen wir – wie durch ein Tor – in eine neue Welt, in der uns aber vieles noch verborgen bleibt: Die Gesinnung der anderen und das reiche Geheimnis der Schrift. In der Tat ist das aktuell: Der Glaube ist etwas Geheimes, ja geradezu Intimes. Den Glauben der anderen können wir nicht erfassen oder erkennen. Und auch die Schrift ist oftmals nicht eindeutig und für uns erklärbar, ja manchmal sogar widersprüchlich.

Doch was heißt diese Interpretation konkret für uns? Gregor schreibt: „Wir sind mit fünf körperlichen Sinnesorganen ausgestattet. […] Ohne diese fünf körperlichen Sinne können wir von den himmlischen Geboten nach außen hin gar nichts verwirklichen.“ Weiter beschreibt er, dass unsere Sinne als Dienstboten für die Seele fungieren. Wir erfassen mit unseren Sinnen die Welt, aber wir richten auch unser Handeln danach aus. So sehen wir die Not anderer Menschen, ihre Bedürftigkeit. Das Sehvermögen ist auf diese Weise ein „Dienstbote“ für die Seele, dass wir helfen müssen. Jede Mutter hört sensibel den Ruf ihrer Kinder und eilt rasch zur Hilfe. Ähnlich ist es auch mit den anderen Sinnen: Wir riechen das gefährliche Feuer, wir schmecken giftige Bitterstoffe und fühlen schon im Vorfeld Gefahr. Für Gregor ist der Glaube und der Eintritt in das Verborgene nicht eine rein philosophisch-abstrakte Angelegenheit, sondern etwas sehr Menschliches und geradezu Körperliches. Rechtes Handeln ist eben nur durch unser Mensch-sein und durch unsere Sinne erreichbar. Ziel für ihn sind die guten Werke: „Haben wir mit ihrer Hilfe (Anm. der Sinne) ein Werk der Barmherzigkeit begonnen, wird sich die Barmherzigkeit selbst von Tag zu Tag mehr auftun.“ Sehr deutlich wird in dieser Aussage seine pastorale Orientierung und die Überzeugung, dass der Glaube immer in Verbindung mit gutem Handeln und der Nächstenliebe steht. Diese kurze Interpretation Gregors zeigt seine Aktualität für die heutige Zeit. Wir sollen auch heute die Barmherzigkeit vermehren und sie verbreiten. Nutzen wir unsere Sinne als Dienstboten – sie sind besonders in der aktuellen Lage mehr als notwendig.

Gregor Mathey, Diakon

Die Zitate stammen aus:
Gregor der Große, Homilien zu Ezechiel