St. Bonifatius Wiesbaden

Darf es vielleicht ein wenig Mehr sein?

Gemeindebrief, Theologie SpiritualitätPhilippe Jaeck

Ein Geistlicher Impuls für die Fastenzeit unter Coronabedingungen

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Ich weiß nicht, wie es Ihnen damit geht, aber beim Thema Fasten regt sich in mir innerlich gerade massiver Widerstand. In diesen aktuell mehr als herausfordernden Monaten der Pandemie fällt es mir schwer, mich zu Beginn dieser Fastenzeit mit der Fragestellung auseinanderzusetzen, worauf ich in diesem Jahr eigentlich bewusst vierzig Tage lang verzichten möchte.

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Bringt mich der große Mangel, den die Coronasituation zur Folge hat, nicht schon mehr als genug an meine Grenzen?! Unfreiwillig bin ich gezwungen, auf so viel Liebgewonnenes in meinem Leben zu verzichten. Es gibt so viele Dinge, die mir in der Situation der Pandemie einfach nicht möglich sind. Da habe ich eigentlich keine Lust, noch mehr Mangel zu leben und mich am Ende damit vielleicht auch noch meiner allerletzten Kraftquellen zu berauben.

Bei genauerer Betrachtung stelle ich jedoch fest: Vielleicht muss es beim Fasten aber auch gar nicht immer zwangsläufig um ein Weniger gehen.

Vielleicht darf es ja auch einfach einmal ganz bewusst etwas Mehr von etwas sein. Fasten also mal ganz anders.

Fasten ist ja nicht nur der Verzicht auf irgendetwas, sondern in erster Linie der Verzicht für etwas! Beim Fasten geht es nicht um Selbstkasteiung und auch nicht um ein Abgeschnitten werden von den eigenen Kraftquellen. Vielmehr ist es eine Zeit, um mir meiner eigenen Bedürfnisse und Ressourcen wieder stärker bewusst zu werden, mich neu auf das Wesentliche auszurichten.

Statt mich verbissen selbst zu geißeln, indem ich mir Dinge verbiete und den Verzicht als eine Art Bestrafung auffasse, könnte ich das Fasten in diesem Jahr also auch einfach einmal als eine Art Experiment begreifen: eine Möglichkeit, eine andere Perspektive auf mein Leben zu wagen, die Dinge vorübergehend anders zu machen und zu schauen, wie es mir damit geht.

Was wäre denn, wenn ich mich in dieser Fastenzeit ganz bewusst dazu entscheide, vierzig Tage einzuüben, meinen Blick nicht so sehr auf den Mangel und all das, was durch Corona gerade in meinem Alltag nicht möglich oder herausfordernd ist, zu richten? Wenn ich zuallererst auf die Möglichkeiten schaue, die mein Leben dennoch bietet? Natürlich meine ich damit nicht, dass ich das Schwere in meinem Leben einfach wegwische, leugne, verdränge oder mir schön rede. Die Pandemie und all ihre Herausforderungen lassen sich nicht einfach wegzaubern. Aber vielleicht kann mir die vierzigtägige Fastenzeit in diesem Jahr dabei helfen, trotzdem eine Art Perspektivwechsel zu wagen. Vielleicht verändert es ja am Ende mehr als ich im Moment selbst noch für möglich halte, wenn ich meinen Blick in meinem Alltag einmal ganz bewusst nicht nur auf das Schwere und Herausfordernde richte, sondern wieder neu damit in Kontakt komme, was mich in meinem Leben eigentlich trägt, stärkt und lebendig sein lässt.

Kreativität ist auch inmitten der Corona-Einschränkungen möglich. Auch in der Pandemiesituation habe ich die Möglichkeit, mir jeden Tag ganz bewusst ein wenig Zeit zu nehmen für etwas, was mir gut tut und mir neue Kraft schenkt. Ich kann einen kleinen Spaziergang machen, eine Kerze anzünden, eine Tasse Tee mit einem schönen Buch genießen, mich auf Spurensuche nach den ersten Frühlingsboten machen, achtsam werden für die kleinen Glücksmomente des Alltags oder mir einen Moment für das persönliche Gebet nehmen, um nur ein paar erste Beispiele zu nennen.

Und vielleicht entdecke ich auf diese Art und Weise mitten in der vorher noch so tot und trocken erscheinenden Wüste meines Alltags wieder neu die Fülle, die mir Gott für mein Leben zugesagt hat. Diese wird mir auch zu Beginn der Fastenzeit beim Austeilen des Aschenkreuzes am Aschermittwoch jedes Jahr aufs Neue als Einladung zugesprochen:

„Kehr um und glaube an das Evangelium (Leben)!“

Stephanie Hanich, Pastoralreferentin