St. Bonifatius Wiesbaden

Gemeindebrief 3/15

GemeindebriefAutor

Titelseite des aktuellen Gemeindebriefs

Fastenzeit: Ab in die Wüste

Neu denken! Veränderung wagen!

Pastoralreferentin Jutta Fechtig-Weinert

Liebe Mitchristen!

Je suis Charlie (Ich bin Charlie) – dieser Satz wurde zu Beginn des Jahres nach dem furchtbaren Terroranschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ zum Slogan, der um die Welt ging. In diesem Satz drückten Menschen ihre Trauer um die Opfer von Paris aus, bekannten sich zu Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit. Dieser Satz, den Menschen unabhängig von Nation und Religion ausgesprochen haben, er hat bewegt und macht gleichzeitig auch nachdenklich. Jede/r einzelne kann sich fragen: Wer bin ich und wofür stehe ich?

Nach einem Gespräch mit Kollege Jürgen Otto von der Jugendkirche KANA, der dieses Thema im Schulgottesdienst zu Aschermittwoch aufgegriffen hat, merke ich, dass auch mich diese Frage „Je suis…?“ nicht mehr loslässt und sich als Fragestellung in dieser Fastenzeit förmlich aufdrängt.
Am Aschermittwoch haben wir im Zeichen des Kreuzes die österliche Bußzeit begonnen. Und mit dem Zeichen des Kreuzes wurden wir darauf hingewiesen: Bedenke Mensch, wer und was du bist?  Wir sind eingeladen, die Fastenzeit als eine Zeit der Neuorientierung und der Umkehr zu begreifen. Wer bin ich? Mit wem solidarisiere und identifiziere ich mich?

Ich bin Christin! Wenn ich das von mir sage, dann muss ich mich fragen, wie ich mit meinem Leben Jesu radikalem Anspruch und Beispiel gerecht werde. Ich muss und darf mich hinterfragen lassen, in welcher Haltung ich als Christin den Problemen und Herausforderungen unserer Zeit begegne. Wie verhalte ich mich gegenüber Andersdenkenden, wie stehe ich zu den Flüchtlingen in unserem Land, was heißt es für mich, angesichts von Klimawandel  und seinen Folgen, verantwortlich und nachhaltig zu handeln? 

Misereor hat für seine diesjährige Fastenaktion den Leitspruch gewählt: „ Neu denken! Veränderung wagen.“ Als Christin will ich mich in dieser Fastenzeit zu neuem Denken anregen lassen und die Offenheit mitbringen, dass mein Handeln Veränderung braucht. Im Blick auf Jesus, den gekreuzigten und auferstandenen Herrn, kann ich die Veränderung wagen.

Jutta Fechtig-Weinert
Pastoralreferentin


„Marokko Wüste 02“ von Joadl. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Marokko_W%C3%BCste_02.JPG

Die Fastenzeit ist eine „Wüstenzeit“. Das ist aber nicht nur eine Zeit voller Entbehrung, sondern eine Zeit vieler Neu- und Wiederentdeckungen. Eine Zeit der Konzentration auf das, was im Leben wirklich zählt.

Gemeindereferent Andreas Schuh

Die 40 Tage der Fastenzeit erinnern uns an zwei Ereignisse. Da sind die 40 Tage Jesu in der Wüste. Bevor er öffentlich auftritt und Gott in Wort und Tat verkündet, nimmt er sich diese Auszeit und wird „vom Geist in die Wüste geführt“. Offensichtlich eine Art Vorbereitung, Probe, Prüfung, um daraus gestärkt seinem Auftrag folgen zu können. Das ganze entwickelt sich zu einer Versuchung. „Der Versucher“ packt ihn da, wo er es offensichtlich am leichtesten hat: Jesus hat 40 Tage gefastet und ist hungrig. Eine Versuchung auch für uns: den momentanen Bedürfnissen nachzugeben, die so leicht erreichbar sind, ohne die Konsequenzen zu überdenken (z.B. unser Konsumverhalten, schnelles Lösen von Konflikten mit Gewalt, Probleme einzelnen Gruppen zuzuschieben, …). 
Aber Jesus konzentriert sich auf das Wort Gottes und das macht ihn frei. Als der Versucher hier nichts erreicht, versucht er es über die menschliche Eitelkeit: „Wenn Du Gottes Sohn bist, dann….“. Er verleitet Jesus dazu, mit seiner Macht zu spielen, seinen Einfluss zu präsentieren. Und der letzte Versuch gilt dem so menschlichen Bedürfnis nach Macht und Reichtum. Hier fordert der Versucher sehr deutlich, dass Jesus ihn anbetet, ihm also seine Seele verkaufen soll, um all das zu erlangen. Und so stellt sich auch die Frage an uns, wer den Preis dafür bezahlen muss, dass einzelne (auch wir) recht reich sind oder Macht und Einfluss haben. 

Die 40 Tage Fastenzeit erinnern auch an die 40 Jahre des Volkes Israel auf dem Weg in das Land der Verheißung. 40 Jahre irrten sie durch die Sinai-Halbinsel. 40 Jahre irrten sie auch „innerlich“ herum, nicht sicher, ob sie Jahwe und seinen Propheten vertrauen können. Eine Zeit geprägt von Höhen und Tiefen. Eine Zeit der Heimatlosigkeit. Eine Zeit der Orientierungslosigkeit. Aber immer, wenn sie scheinbar ganz am Boden lagen, zeigte Gott ihnen seine Nähe, rettete sie und gab ihnen neue Orientierung. Und so kann eine Wüstenzeit zur Begegnung mit Gott führen und neue Orientierung schenken.

Aber wie kann ich heute Orientierung finden? Wie kann ich mich heute den alltäglichen Versuchungen stellen? Wie kann die Fastenzeit mein Leben neu ordnen und eine neue Richtung geben?

In unserer Kindheit und Jugend sind wir sehr viel Fahrrad gefahren. Neben den Wegen zu Schule und Gemeinde bestand auch ein großer Teil der Freizeit aus Fahrradfahren. Aber am Wochenende wurden die Räder umgedreht und auf Sattel und Lenker gestellt. Nun konnte man das Fahrrad auch an unzugänglichen Ecken reinigen, die Kette ölen, Gangschaltung und Bremsen nachstellen. Ggf. wurden Sattel- und Lenkerhöhe angepasst und defekte Teile ausgetauscht. Eine richtige Fahrradinspektion. Aber das geht auch nur, wenn ich mir die Zeit nehme, meinen Alltag zu unterbrechen, anzuhalten, um auch meinen Alltag „auf den Kopf zu stellen“. 

Carlo Caretto, einer der „Kleinen Brüder“ der Gemeinschaft Charles de Foucaulds, lebte acht Jahre in der Wüste und schrieb: „Wenn man von „Wüste für die Seele“ spricht, wenn man sagt, dass in Deinem Leben ein Platz für die Wüste sein müsse, dann darfst Du nicht nur daran denken, in die Sahara, …. zu gehen. … Wenn Du nicht in die Wüste gehen kannst, musst Du dennoch in deinem Leben „Wüste machen“. Verlass von Zeit zu Zeit die Menschen, suche die Einsamkeit, um im Schweigen und anhaltenden Gebet Deine Seele zu erneuern.“ (aus: Carlo Caretto „Worte aus der Wüste“) 

Mir ist bewusst, wie schwierig dies im Alltag ist und allgemeine Rezepte sind hier wenig hilfreich. Trotzdem möchte ich Ihnen einige Anregungen mit auf den Weg geben. Zuerst steht die Frage, wo kann ich mir in der Fastenzeit Auszeiten nehmen (am Tage, am Wochenende)? Vielleicht trage ich mir diese „Fastenstunden“ als Termin in meinen Kalender ein. Es kann hilfreich sein, sich einer Gruppe anzuschließen: Frühschichten, Gebetsstunden, Fastengruppe o.ä. Und dann kann man sich Fragen stellen: Was bindet mich im Alltag? Was vereinnahmt mich? Was bestimmt mein Leben, meinen Dienst, meine Freizeit? Gelingt es mir, in der Fastenzeit auf Alltägliches zu verzichten? Kann ich das Auto öfters stehen lassen? Kann der Fernsehkonsum eingeschränkt oder sogar eingestellt werden? Kann ich meine Ernährung in der Zeit umstellen (weniger Fleisch, mehr Fair-Trade-Produkte, kein Alkohol, wenig Fertigprodukte, weniger Fast-Food)? Gelingt es mir, mein Konsumverhalten auf das absolut Notwendige zu reduzieren? Kann ich mir Zeiten der Stille schaffen? 20 Minuten am Tag einfach nur schweigen und mit meinen Gedanken ganz bei Gott (und nicht bei meinen alltäglichen Belangen) sein?

Es geht nicht um Verzicht, sondern um die Konzentration auf das Wesentliche. Ich bin sicher, dass uns solche Wege in die Wüste reich beschenken. Gerne denke ich an meinen Liturgiedozenten, der bei einer Vorlesung von einem Flug erzählte, bei dem ihm erstmals das Wort „Fasten“ auf dem Hinweisschild „Fasten your seatbelts“ auffiel. Und das englische Wort „fasten“ bedeutet „festmachen“. Auch wenn hier eine Wortverwandtschaft sehr unwahrscheinlich ist, so ist aber der Begriff des Festmachens ein guter Gedanke für die Fastenzeit: zu überdenken, woran ich mein Leben festmache, was mir Halt gibt, was mir sicher ist, ganz gleich was passiert.In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine gute und intensive Fastenzeit!

Andreas Schuh, Gemeindereferent