Der Ausdruck „Kehrt um…!“, griech. Metánoia begegnet im Neuen Testament vor allem in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte. In den neutestamentlichen Briefen findet sich dieser Begriff selten. Im Johannesevangelium überhaupt nicht. Als Verb metanoeō tritt er häufig in dem letzten Buch der Bibel – in Offenbarung des Johannes – auf. Semantisch verwandt ist im Neuen Testament der Begriff epistrophē, der mit Zu- oder Hinwendung, Berücksichtigung, Sorge und Bekehrung im weiteren Sinne übersetzt wird.
Im Griechischen wird mit Metánoia allgemeine „Sinnes-Änderung“ – sowohl zum Guten wie zum Bösen – zum Ausdruck gebracht. Ausschlaggebend für das neutestamentliche Verständnis ist das alttestamentliche Wort Schûb (hebr.), das „umkehren“ heißt, im Sinne der Abkehr vom Bisherigen und Rückkehr zum Ausgangspunkt. Besondere religiöse Bedeutung bekam Schub in der Prophetie: Dort zielt es auf die „Rückkehr in das ursprüngliche Jahweverhältnis“, wobei der Gedanke eines „völlig neuen Anfangs“ auch mitschwingt. Bei den Propheten (bes. bei Amos, Hosea und Jesaja) ist Umkehr streng personal – als „Hinkehr“ zu Jahwe – orientiert, und stellt einen die ganze Existenz betreffenden Akt dar. Auch der Gedanke der Abkehr von den einzelnen Sünden steht im Fokus (bes. bei Ezechiel und Jeremia).
Im Frühjudentum wird „Umkehr“ überwiegend als „Rückkehr zum Gesetz“ verstanden und somit als Voraussetzung für das Heil, wobei sowohl das Gesetz wie auch Umkehr Gottes gnädige Gaben sind.
Wird in der Religion der Begriff Metánoia als innere Umkehr und Buße gedeutet, legt die Philosophie ihn als Änderung der eigenen Lebensauffassung und Gewinnung einer neuen Weltsicht aus. René Descartes Grundsatz „Erkenne dich selbst“, ist eine Aufforderung an den Menschen, sich nicht in Worte und bloße Äußerlichkeiten zu verlieren, sondern die eigene Grundhaltung, die seine Lebensführung, das heißt, sein Tun und Lassen, im Innersten bestimmt, sorgfältig in den Blick zu nehmen.
So treffen sich die beiden Grundlinien – die des biblischen mit der des philosophischen – Wortverständnisses von Metánoia effektiv zusammen in einem Ausspruch des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing: „Kehrt um, denk neu!“ (Zur Krise der kath. Kirche, in der Schriftenreihe „Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz“, Nr. 35).
Unglaublich, wie Bibeltexte ganz neu klingen können. „Kehrt um und denk neu!“ ist eine etwas andere Übersetzung von Markus 1,15: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium.“ Wenn Jesus zur Umkehr ruft, dann geht es nicht nur um rituelle Bußpraxis, sondern tatsächlich um eine neue Sicht der Welt: „Das Reich Gottes ist da! Kehrt um, denkt neu. Habt Vertrauen.“ Die Zeit drängt!
Jesus unterscheidet sich in seiner Verkündigung von asketischen Bußpredigern wie Johannes der Täufer, von dem er sich im Jordan taufen lässt. Doch eines hat er mit dem Rufer in der Wüste gemeinsam: die Zeitansage. Es ist in ihren Augen höchste Zeit. Beide sind überzeugt, dass es so nicht weitergehen kann. Beide gehen davon aus, dass nichts stimmt. Das übliche Leben ist falsch. Es steht unter der Herrschaft der falschen Mächte und folgt falschen Regeln. Israel muss jetzt das Steuer herumreißen, umkehren und neu denken! Gegenwärtig andringende und zum vollendenden Gottesreich hindrängende Gottesherrschaft verlangt eine sofortige und „umreißende“ Entscheidung.
Die Aufforderung zur radikalen Umkehr setzt besonders der Autor des ältesten Evangeliums sehr plakativ auf die erste Seite seines Buches. Der griech. Ausdruck Metánoia, der dafür im Markus gebraucht wird (1,15), meint zuerst einmal ein Umdenken, eine Neuausrichtung des Denkens. Vielen bekannt ist wahrscheinlich der verwandte Begriff Paránoia, der eine Verwirrung des Geistes anzeigt. Bei Markus beschreibt der Begriff Metánoia auch eine Haltung, die in Anlehnung an profan-hellenistisches Verständnis als „seine Meinung ändern.., umdenken“ wiederzugeben ist, darüber hinaus muss hier dieser Begriff aber eindeutig von seiner biblischen Tradition bzw. vom Kontext her verstanden werden: Gemeint ist hier nämlich die entschiedene Kehre des Lebens, die den Lebensweg radikal umwenden will, die die Sphäre des Denkens und der Gedanken mit einbezieht und die sich im praktischen Leben auswirken muss. „Das Reich Gottes“ zu dem die Umkehr – das Umdenken – hinführen möchte, ist an dieser Stelle und aufgrund des dazugehörenden Kontext in einem aktiv-dynamischen Sinne zu verstehen, nicht als bloße Vorstellung einer Gottesherrschaft über Zeit und Raum. Aus der Umkehr (im Glauben) setzt sich alles Andere in eine dynamische Bewegung und erwächst alles Weitere.
„Umkehr“ – Metánoia im Markus-Evangelium ist weit mehr als Sinnesänderung, obschon eine solche vorausgesetzt ist. Auch „Buße“ ist zu wenig, wenn man dabei an Wiedergutmachung von Unrecht, Übungen der Entsagung und Sühneleistungen denkt, obschon auch solche äußeren Dinge mit gefordert sein können. Umkehr, hier und in biblischer Tradition bedeutet das Kehrtmachen auf einem verkehrten Weg, deutlicher und transparenter noch: die Rückkehr zu Gott, von dem sich der Mensch abgewendet hat. Wer umkehrt, muss sich wieder als Geschöpf Gottes erkennen (Descartes) und verstehen lernen, und von ihm über sich verfügen lassen.
Das Umdenken, zu dem Jesus aufruft, bezieht sich auf Gott und die religiöse Ordnung. Jesus lädt ein, darauf zu vertrauen, dass Gott da ist, den Menschen zugewandt, geheimnisvolle Freundlichkeit, unendliche Barmherzigkeit. Dieses Gottdenken ordnet die Welt neu, rückt vieles in ein anderes Licht und führt ins Handeln. Wichtiges kann unwichtig und Randständiges zum Zentrum werden.
Es gibt eine starke asketische Tradition, die Umkehr mit Verzicht und einer Abkehr von „weltlichen Dingen“ verknüpft. Demgegenüber ist Jesu Umkehrruf die Einladung zu neuem Leben, zu einem Neuanfang trotz und in allen Brüchen – ohne jede Vorleistung. Jesus legt den Fokus nicht auf das Ungenügen der Menschen, sondern auf die „gleichgeschaltete“ Dynamik des Gottesreiches, und die verborgene Fülle an Leben.
Fazit: „Kehrt um, denk neu!“ – Der Aufruf zur Metánoia lädt uns zu Beginn der Fastenzeit zum Erkennen und Verstehen, wer und was wir sind; zum Rückkehren an den Ursprung unseres Seins und unseres Glaubens; zum Neudenken und Hinwenden; In allem aber: Zur dynamischen Fortbewegung… denn die Zeit – das Reich Gottes – drängt! ist eigentlich schon längst da.
Pfarrer Peter Šoltés
Hermann Schmider / pfarrbriefservice
Grafik: Philippe Jaeck