Die meisten Menschen lieben die Herbstzeit: spätsommerliche Tage laden zum Spazierengehen in die Natur ein, die sich über die Wochen des Herbstes immer weiter verfärbt. Bald stehen die Bäume und Wälder in bunter Farbenpracht vor uns – als wären sie ein Zeichen für das pralle Leben. Gleichzeitig sehen wir, dass untrüglich etwas zu Ende geht. Der Sommer ist vorbei, die Tage werden immer kürzer und kälter. Schließlich verlieren die Bäume ihre Blätter. Die Farbenpracht ist schnell dahin. Dann ragen laublos kahle Äste in den grauen Himmel und kündigen – als wären sie ein Bild des Todes – den bevorstehenden Winter an. Der Herbst hat eben beide Seiten: Fülle und Niedergang, Leben und Tod.
Wir sprechen nicht umsonst auch vom Herbst des Lebens, wenn ein Menschenleben sich allmählich seinem Ende zuwendet. Darin steckt die Erfahrung der Endlichkeit, dass unser irdisches Leben eben nicht unendlich ist. Manch älterer Mensch versucht eine Bilanz seines Lebens zu ziehen.
Das Wort „Herbst“ hängt ursprünglich mit dem Wort „Ernte“ zusammen. Herbstzeit ist auch Erntezeit. In ihr sind wir mit den dann reifen Früchten beschenkt. So kann ein Mensch im Herbst seines Lebens dankbar werden für alles, was ihm geschenkt wurde im Leben und was er als kostbaren Schatz an Erinnerungen in sich trägt, die zu wertvollen Erfahrungen gereift sind. Davon kann er anderen mitteilen und weitergeben. So bekommt das Erntedankfest im Herbst eine umfassendere Tiefe: In ihm drückt sich dann nicht nur der Dank für die Ernte des Jahres aus, sondern für das Leben im Ganzen, das wir aus der Hand des Schöpfers empfangen durften. Wer dankt, weiß sich beschenkt. Wer sich beschenkt weiß, weiß sich geliebt. Unser Dank hat eine klare Adresse. Wir danken Gott. Und indem wir dies tun, treten wir immer neu in die Beziehung mit ihm ein, der uns zuerst geliebt hat.
Dieser Liebe Gottes begegnen wir im Beten der Kirche noch einmal im Herbst. Wenn der Herbst allmählich zum Winter wird, feiern wir an den ersten beiden Tagen des Novembers Allerheiligen und Allerseelen. Wir nehmen damit die Heiligen in den Blick, die in der Ewigkeit Gottes vollendet sind; und wir beten für unsere Verstorbenen, dass sie in diese Freude der Heiligen bei Gott eingehen. In die sterbende Natur tragen wir so das Licht des Glaubens, das von Ostern, von der Auferstehung und vom ewigen Leben spricht. Im Herbst des Lebens erwartet der Christ nicht die Kälte des Todes, die alles ins Vergessen und ins Nichts reißt, sondern das Leben in Fülle, das vom auferstandenen Christus her uns geschenkt ist.
Klaus Nebel, Pfarrer
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