Dem Himmel so nah… – Teil Zwei
Unter diesem Titel hatte ich eine dreiteilige Reihe zu Heiligen im Sinn, die in Krisenzeiten der Kirche heilsam wirkten und zu denen ich persönlich eine besondere Beziehung habe. Geplant war ein „Erzählcafé“. Auf der Dachterrasse des Roncalli Hauses wollte ich jeweils über eine der Gestalten erzählen und mit den Teilnehmer*innen ins Gespräch kommen. Die Corona-Pandemie hat uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht. Doch so einfach ausfallen lassen möchte ich die Sache dann doch nicht. Statt Erzählcafé gibt es nun jeweils einen Artikel hier im Gemeindebrief und begleitend ein Video. Im zweiten Teil möchte ich Sie mit der Heiligen Caterina von Siena bekannt machen. Im Video komme ich mit Sr. Katrina Dzene (Caterina ist ihre Ordensnamenspatronin) und Stefan Herok über diese Kirchenlehrerin ins Gespräch. Den Link zum Video finden Sie am Ende des Artikels.
Siena – eine Stadt der Heiligen?
Wir haben gesehen, wie sehr Assisi, die franziskanischen Orte, Franz und Klara geprägt haben und umgekehrt diese Orte bis heute von diesen Heiligen geprägt sind. Ist es etwa bei der Stadt von Caterina von Siena und Bernardino von Siena auch so? Mitnichten! Siena, eine Stadt südlich von Florenz in der beliebten Urlaubsregion Toskana. Eine Stadt, die ihr mittelalterliches Stadtbild bewahrt hat.
Siena ist auch berühmt für sein ganz spezielles Sozialgefüge. Die Stadt ist in siebzehn Stadtgebiete geteilt, die „Contraden“. In ihnen leben die Bewohner einen intensiven Zusammenhalt. Zu jeder Contrade gehören ein eigenes Wappentier, welches der Contrade den Namen gibt, besondere Wappenfarben, eine eigene Kirche, ein Brunnen, ein Museum und besonders ein Pferdestall (!), denn das Stadtleben fiebert auf zwei besondere Tage im Jahr hin. Dann findet auf dem Stadtplatz, auf dem Campo, ein Pferderennen statt. Jeweils zehn der siebzehn Contraden treten an, um den Siegespreis, ein Seidenbanner zu Ehren der Jungfrau Maria, den „Palio“, zu erringen, die höchste Ehre überhaupt!
In der Contrade lebt man zusammen, feiert zusammen und jede werdende Mutter versucht, ihr Kind in der Contrade zur Welt zu bringen.
In dieser Welt - wo ist da Platz für die beiden Heiligen, den franziskanischen Reformer Bernardino und die Dominikanerin Caterina? Immerhin prangt auf der Fassade des Rathauses, das Christussymbol „IHS“, das Bernardino populär gemacht hatte und dannspäter von den Jesuiten als ihr Symbol übernommen wurde. Am Rande der Altstadt finden wir das Santuario (Heiligtum) der Heiligen Caterina, in dessen Komplex die Contrade „della Oca“ (der Gans) mit Kirche und Treffpunkt Heimat gefunden hat. In der nahen Dominikanerkirche befinden sich die Kopfreliquie und ein zu ihren Lebzeiten entstandenes Bildnis.
Trotz der, in doppelter Hinsicht, Randlage Caterinas in ihrer Stadt, habe ich mich schon bei meinem ersten Besuch in dieser Stadt, damals noch Student und mit Interrail-Ticket und Rucksack unterwegs, von dieser großen Frau anstecken lassen.
Wer ist Caterina?
Caterina wird 1347 als 23. von 25 Kindern in die verarmte Adelsfamilie Benincasa geboren. Viele ihrer Geschwister, gerade auch ihre Zwillingsschwester, sind früh verstorben. Der Vater war Wollfärber. In dieser Familie war nicht an Bildung zu denken, schon gar nicht für ein Mädchen. Möglichst früh im heiratsfähigen Alter (mit 12 Jahren!) war eine günstige Verheiratung für sie geplant. Doch Caterina spielt nicht mit. Mit sieben Jahren hatte sie ihre erste mystische Erfahrung, eine Gottes-Vision über der nahen Basilika San Domenico. Sie beschloß, ganz für Christus da zu sein. Später erfährt sie sogar eine mystische Vermählung mit Christus. Sie geht in den Konflikt mit der Familie und verweigert sich einer Heirat. Früh kommt sie mit den Dominikanern in Kontakt, die nur wenige Schritte von ihrem Elternhaus ihre Kirche und ihren Konvent haben. So schließt sie sich der dominikanischen Bewegung an. Sie wird Mantelatin, das heißt sie gehört keiner klösterlichen Gemeinschaft an, sondern lebt in der Welt die dominikanische Spiritualität. Im Video wird Sr. Katrina besonders darüber erzählen!
Kampf und Kontemplation
Zunächst lebt sie ein Leben der Abgeschiedenheit und strengster Askese. Doch sie bekommt von Jesus den Auftrag, hinaus zu gehen! Fortan widmet sie sich der Krankenpflege und der Fürsorge für die Armen der Stadt. Dadurch erregt sie Aufsehen, sie wirkt damit anregend und es bildet sich um sie ein Kreis von Männern und Frauen, ihre „Famiglia“ (Familie). Natürlich zeigen sich bald auch die Neider und Bedenkenträger: „Was erlaubt sich die Frau…“! Sie wird vor das Leitungsgremium (Kapitel) der Dominikaner geladen. Letztlich wird für gut befunden, was sie tut. Zur Sicherheit wird ihr der Dominikaner Raimund von Capua als Beichtvater zugeteilt. Wohl als Aufpasser gedacht, entpuppt er sich als Glücksgriff. Er wird ihr Sekretär, wohl auch Freund und später ihr Biograf. Mit seinem diplomatischen Geschick ebnet er oft genug den Weg für ihre Mission. Caterina lebt, was Frere Roger, der Gründer der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé, viele Jahrhunderte später ausgedrückt hat: innere tiefe Gottesbeziehung (Kontemplation) und aktives Engagement in Kirche und Gesellschaft (Kampf) gehören untrennbar zusammen!
Mission impossible
Es wird Zeit, auf die politische und kirchliche Situation ihrer Zeit zu schauen. Seit einiger Zeit residiert der Papst im Einflussbereich des französischen Königs in Avignon. Die sowieso schon problematische Verknüpfung des Papsttums mit der Macht, die im Mittelalter vorherrscht, verschärft sich durch diesen sehr direkten Einfluss Frankreichs. Zudem bauen die Päpste den Papstsitz zu einer Trutzburg aus. Die Zeiten, wo ein Franziskus einfach zum „Herrn Papst“ gehen konnte, sind vorbei. In Avignon entwickelt sich ein System, das dann in der Renaissance unrühmlich Blüten treibt. Ein selbstgefälliger Apparat, der um sein eigenes Wohlergehen bemüht ist, bildet sich heraus.
Der Umzug nach Avignon hinterlässt in Italien, wo der Kirchenstaat ein wesentlicher Faktor der politischen Balance war, ein Machtvakuum. Die Folge sind verstärkt Machtkämpfe zwischen den Stadtstaaten. Diese werden durch Söldnerheere ausgetragen, die oft genug verbrannte Erde hinterlassen. In dieser Zeit entdeckt Caterina ihre besondere Aufgabe, wahrlich eine „mission impossible“. Sie wird eine wortgewaltige Kämpferin für den Frieden und die Reform der Kirche. Die Analphabetin greift mit über 300 Briefen, die sie zumeist Raimund diktiert, massiv in die Politik und die Kirche ein.
Es gehört sich nicht für eine Frau, in der Versammlung zu reden (1. Korinther 14,35b)
Getrieben von der Liebe zu Christus und seiner Kirche kann Caterina nicht schweigen. Mit ihren Briefen, mit ihren Reisen, u.a. auch nach Avignon, aber auch mit ihrem mystischen Hauptwerk, dem „Dialogo“ (Gespräch mit Gott über seine Vorsehung) kämpft sie für die Reform der Kirche und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Sie setzt sich ein für den Frieden zwischen dem Papst und Florenz. Als Kind ihrer Zeit möchte sie einen Kreuzzug initiieren. Besonders wünscht sie die Rückkehr des Papstes nach Rom. Davon verspricht sie sich grundsätzliche Änderungen in der Kirche und Frieden in Italien. Scheinbar hat sie Erfolg, der Papst kehrt zurück nach Rom. Doch schon mit der Wahl des nächsten Papstes und dessen undiplomatischem Auftreten verschlimmern sich die Zustände. Es kommt zum großen „Abendländischen Schisma“ mit einem Papst in Rom und einem in Avignon. Später gibt es dann sogar drei Päpste, bis das Konzil von Konstanz die Sache bereinigt. Die schlimmsten Auswirkungen erlebt Caterina nicht mehr. Aufgerieben von ihrer Liebesmission stirbt sie schon mit 33 Jahren. Auch darin mag man die innige Beziehung zu Christus erkennen, da Jesus wohl 33 Jahre auf Erden weilte. Doch das sichtbarste Symbol dieser Vereinigung sind die Stigmata (die Wundmale Jesu), die sie im Gebet vor einem Kreuzbild in Pisa empfing. Das Kreuzbild befindet sich heute im Santuario in Siena. Es passt zu Caterina, dass diese Wundmale auf ihren Wunsch hin erst nach ihrem Tod für alle sichtbar wurden.
Kirchenlehrerin, Patronin Europas
Caterina, die Frau, die nicht in der Kirche schwieg, wurde von Papst Pius II, Enea Silvio Piccolomini aus Siena, ein Bezug zur Heimatstadt, heiliggesprochen. Später wird sie, zu recht, als eine der vier „Quotenfrauen“ (mit ihr Theresa von Avila, Hildegard von Bingen und Therese von Lisieux) zu den Kirchenlehrern gezählt. Johannes Paul II hat sie zusammen mit Birgitta von Schweden und Edith Stein zur „Patronin Europas“ erwählt, ein Titel den auch vorher schon Franziskus erhalten hatte. Hohe Ehren, dennoch gehört sie zu den eher unbekannten, aber wie wir gesehen haben, zu den unterschätzten Heiligen der Kirche. Ich kann Sie, liebe Leserin und lieber Leser, nur ermuntern, Caterina von Siena für sich zu entdecken.
Pfarrer Matthias Ohlig