St. Bonifatius Wiesbaden

Corona als Katalysator in der Kirche?

Aus dem Leben der Pfarrei, Gemeindebrief, Gesichter der PfarreiPhilippe Jaeck

Wie der Coronavirus auf das Leben von Mitarbeitern in der Kirche wirkt.
Höher, schneller, weiter – so kann man die Stimmung vor den Zeiten von Corona in aller Kürze beschreiben. Vor Corona schien alles machbar zu sein. Durch COVID-19 wurde jedoch das Tempo, mit dem wir unterwegs waren, gedrosselt.

Das hat viel Leid gebracht, weil Menschen krank geworden sind und sterben mussten. Der Alltag von vielen hat sich drastisch und existentiell verändert in der Arbeitswelt, in der Freizeit, bei der Betreuung von Kindern und von pflegebedürftigen Menschen. Man muss auch in den Zeiten von Lockerungen durch die Landesregierungen der einzelnen Bundesländer noch einiges beachten. Zudem droht bei Anstieg der Zahlen von Corona-Erkrankten ein erneuter Lockdown und einen Impfstoff gibt es auch noch nicht. Wir werden mit dem Corona-Virus also noch eine Weile leben müssen.

Doch in den Zeiten mit Corona ist auch viel entstanden

Da wurden Kräfte mobilisiert, um in der Nachbarschaft zu helfen, zum Beispiel bei den Einkäufen für die älteren Generationen oder Menschen, die einer Risikogruppe angehören. Oder es wurden, auch mit Mitgliedern aus unserer Pfarrei, Lunchpakete für Obdachlose gepackt. Lesen Sie dazu den Artikel auf Seite 10. Gemeindereferentin Marion Lindemann meint dazu, dass die Ehrenamtlichen in diesem Projekt mit ihrem Tun wie ein Zeichen wirken. Mit ihrer Hilfe für die Wohnungslosen zeigen sie, dass Gott bei ihnen ist und ihnen einen Engel schickt, so wie er es beim Propheten Elija getan hat (1. Buch der Könige, 17+19). Und Kaplan Frank Fieseler kommentiert: „Da ist eine Solidarität unter den Menschen gewachsen, von der ich hoffe, dass wir sie weitertragen werden.“ Die soziale Distanz, die wir einhalten mussten, hat Menschen auf anderen und neuen Wegen zusammengeführt. So haben Enkel ihren Großeltern wieder Briefe geschrieben. Wir alle haben uns mehr mit unbekannten Techniken beschäftigt, um im Homeoffice arbeiten zu können. Die Email wird noch mehr als vorher zum „kurzen und schnellen Draht“ auch mit den Ehrenamtlichen, um das unter Corona noch mögliche „Restleben“ am Kirchort zu koordinieren. Es wurden erstmalig Videokonferenzen abgehalten. Das Pastoralteam stellt mit einigem Elan Videoimpulse und Podcasts für verschiedene Zielgruppen ins Netz. So wollten wir zum Beispiel auch mit den Kommunionkindern und ihren Familien in Kontakt bleiben. Die Klickzahlen und persönlichen Rückmeldungen sind positiv. Auch die Messe gab es als tägliches Angebot per Videoübertragung zu Ihnen nach Hause. Lara Reitz, unsere IT-Fachfrau, äußert die Hoffnung, dass wir die neu gewonnen medialen Erfahrungen beibehalten und weiter ausbauen. Hier ergeben sich also Perspektiven für die Pfarrei nach Corona: St. Bonifatius wird digitaler!

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Und wer keinen Computer hat? Unser Seniorenseelsorgeteam, Schwester Katrina Dzene, Andreas Schuh, Ingrid Weber und Marion Lindemann schreiben zur Zeit regelmäßig Briefe an die BewohnerInnen in unseren Altenheimen, die jetzt keine Besuche erhalten durften. Einige Ehrenamtliche des Kirchortes St. Michael haben sich über diejenigen Gedanken gemacht, die an ihrem Kirchort kein Internet haben. Für diese Gemeindemitglieder wurde der postalische Weg benutzt, um sie zu informieren. Von der Bonifatius-Kita hören wir, dass die ErzieherInnen bei den Kindern und Familien daheim angerufen haben, um nach ihnen zu hören, wie es ihnen geht und ob sie Unterstützung brauchen.

Den Blick weiten

Durch Corona mussten wir erfahren, dass wir nicht alles in der Hand haben. Wir sollten auf die Umwelt schauen und sie achten. Außerdem erleben wir gerade deutlich, dass wir begrenzt sind. Im Pastoralteam stellt sich damit die Frage, wo wir hinschauen. Vielleicht wird es gerade jetzt und zukünftig stärker möglich sein, den wahrzunehmen, der größer ist als wir: Gott möchte uns begegnen! Und da wir Menschen Beziehungswesen sind , die ihn und die einander brauchen, lohnt es sich zukünftig noch mehr, dies zu betrachten…

Katarzyna Klöckner, Sekretärin im Pfarrbüro, hat dazu ihren Focus auf die familiären Beziehungen gelegt. Sie hat festgestellt: „Geschwisterkinder rücken mehr zusammen und sie schätzen sich mehr. Man spielt intensiver als Familie miteinander oder man unternimmt etwas. Doch es fehlt der Kontakt nach außen.“ Sie hat beschrieben, wie belastend es für Familien ist, den Beruf, die Kinder im Homeschooling sowie den Haushalt zusammenzubringen. Hier wird deutlich, wie wichtig der Zusammenhalt in Familie ist, und das nicht nur in Krisenzeiten! Unsere Familienseelsorge müsste sich als pastorale Konsequenz aus solchen Erfahrungen noch mehr als Ansprechpartner, Begleitung und Unterstützung verstehen...

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Gemeindereferent Heiko Litz bringt in diesem Zusammenhang folgendes Erlebnis ein: „Über das Engagement des katholischen Kindergartens meiner Tochter war ich zutiefst gerührt. Ein Mitarbeiter kam - natürlich unter Einhaltung der Hygienebestimmungen - persönlich bei uns zuhause vorbei und gratulierte meiner Tochter zum 5. Geburtstag. Diese zugewandte Präsenz hat uns geholfen, die Kontaktbeschränkungen besser zu bewältigen.“ In seiner Arbeit in unserer Pfarrei macht Heiko Litz ähnliche Erfahrungen mit der coronabedingten, digitalen Version des Familien- nachbarschaftscafés „Begegnungscafé Online“. Ein Teilnehmer mit Flucht- und Migrationshintergrund, der am Gruppenchat teilnahm, schrieb: „Vielen Dank, dass ihr uns in der Krise nicht vergessen habt.“ In dieser Hinsicht verändert vielleicht eine Frage aus ‘Der Pastorale Weg – Weg der Entwicklung und Erneuerung der Kirche im Bistum Mainz’ unsere Blickrichtung auf diejenigen, zu denen wir als Kirche gesandt sind. Sie lautet: „Bekommen die Menschen, was sie brauchen, und brauchen sie, was sie bekommen?“ Heiko Litz sagt darüber: „Die Frage ist systemrelevant für die Kirche. Die Ausrichtung einer Pastoral auf die Bedürfnisse und Bedarfe der Menschen ist evangelisierend. Damit Kirche für die Gesellschaft wieder systemrelevant wird, muss sie gerade für bedürftige Menschen da sein.“

Dazu passt, was Pfarrer Klaus Nebel an anderer Stelle formuliert hat: „Vieles muss neu überlegt werden. Als Kirche werden wir neu gefordert sein, wie wir Menschen helfen können, die durch die Krise von Einsamkeit oder Existenznot heimgesucht sind. Da liegt eine echte Aufgabe vor uns“.

Es wird für uns in der Pfarrei St. Bonifatius also zukünftig wichtig sein, wie wir einander begegnen und was wir besonders für diejenigen tun, die Unterstützung brauchen. Jesus geht uns in dieser Hinsicht beispielhaft, wie ein guter Hirte, voraus. Denn er stärkt und nährt diejenigen, die körperlich und seelisch hungrig sind (vgl. Markus 6,30-44). Jesus Christus möchte auch uns nähren und stärken. Wir dürfen das annehmen und auf ihn schauen, um für unser eigenes Handeln immer wieder neu inspiriert zu werden. Sicherlich können wir auch dann nicht alles Leid um uns herum lindern. Doch indem wir in Jesus Christus leben, können wir unseren Mitmenschen neu begegnen. Wir können uns von ihm anrühren lassen, damit wir für ihn und für andere berührbar bleiben. So können wir mit der Zeit mehr und mehr erkennen, was die Menschen um uns herum brauchen.

Insgesamt kann man – so glaube ich – schon sagen, wir Mitarbeitenden in St. Bonifatius stellen uns dem Versuch, die Herausforderungen der Coronakrise aktiv anzunehmen. Seelsorge zu gewährleisten, gerade auch in digitaler Form, mit Blick auf Themen wie Umwelt, Solidarität, Familie und alle Menschen in Einsamkeit, Alter und Not. Besonders aber mit der Frage, ob wir damit auf dem Weg Jesu sind. Vielleicht wirkt der Coronavirus in diesen Tagen in der Kirche wie ein Katalysator, der dazu führt, dass sie die immer wiederkehrende Frage nach denen, die ihr anvertraut sind, mit positiver Dynamik beantwortet. Ob es uns einigermaßen gelingt, das müssen andere beurteilen.

Carola Müller, Gemeindereferentin
Grafik: mostafa_meraji/Pixabay