St. Bonifatius Wiesbaden

Auferstehung

GemeindebriefPhilippe Jaeck

Eine Bildbetrachtung

Für mich ist es die außergewöhnlichste Darstellung der Auferstehung, dieses Fresko von Piero della Francesca (zu Weihnachten 2019 hatte ich über seine „schwangere Madonna“ geschrieben) in Sansepolcro (wörtlich übersetzt heißt dieser Ort: Heiliges Grab!). Der englische Schriftsteller Aldous Huxley schreibt zu diesem Bild: „Der Besucher, der jetzt den Palazzo dei Conservatori in Borgo San Sepolcro betritt, findet die stupende Auferstehung fast so vor, wie Piero della Francesca sie hinterlassen hat. Seine klaren, aber subtil nüchternen Farben leuchten mit kaum beeinträchtigter Frische von der Wand. Die Feuchtigkeit hat nichts von der Gestaltung verwischt, der Schmutz hat sie nicht verunreinigt. Wir brauchen keine Vorstellungskraft, um seine Schönheit zu begreifen; es steht in seiner ganzen und tatsächlichen Pracht vor uns, das größte Bild der Welt“.

LA-RESSURREZIONE-POST-RESTAURO---web klein.png

Wegen dieser Sätze verhindert im 2. Weltkrieg ein britischer Offizier die Zerstörung des Ortes! Das Wunder von Sansepolcro!

Ich will mich nicht mit Huxley vergleichen, und ob es wirklich das größte Bild der Welt ist, ist sicher Ansichtssache. Aber mich hat dieses Bild ebenso beeindruckt, so dass ich damals ziemlich direkt danach dies geschrieben hatte:

Abstecher zu Piero

Autobiografische Skizze XXIV

(Pontegradella, 8. September 2004)

„Es ist schon etwas Besonderes, dass er die Fahrt für einen Besuch in Sansepolcro unterbricht. Wenn er zur nächsten Station auf der Tour unterwegs ist, hat er eigentlich keinen Nerv für Zwischenstopps. Da will er nur ankommen, wissen, dass es mit dem Quartier geklappt hat, Zimmer beziehen und dann erst zu einem Orientierungsbummel an Ort und Stelle starten. Doch am Abend zuvor, als er auf der Karte entdeckte, wie nah Sansepolcro seiner Strecke lag, da steckte es ihm schon in der Nase.

Also fährt er die Ausfahrt „Sansepolcro sud“ ab. Er findet auch relativ bald einen Parkplatz, nicht allzu weit vom centro. Er kennt diesen Ort, der wie er bald merkte, alt aber auch quicklebendig ist, noch nicht. D.h. vor vielen Jahren, auf einer Tour mit Rolf hatte er einmal hier gehalten und nach einem Hotel gesucht. Er hatte es nicht gefunden, vielleicht gab es dieses Hotel schon gar nicht mehr. So sind sie damals doch wieder in Siena gelandet, in der Casa del Pellegrino, die damals auch noch so hieß, bei der mürrischen Dominikanerin.

Doch was treibt ihn hierher? Es gibt doch viele schöne Orte, die er noch nicht kennt und an denen er heute vorbeikommt… Es ist Piero, der Maler von Sansepolcro! Piero della Francesca, dieser rätselhafte Renaissancemaler, fasziniert ihn. Dieser Maler mit seiner spröden, ja statischen Erzählweise gehört nicht zu den gefälligen, direkt zugänglichen Künstlern seiner Zeit. Aber es ist die Kraft seiner Gestalten, ihre Präsenz auf den Bildern, die ihn so faszinieren. Der großartige Zyklus zur Kreuzlegende in Arezzo und hier das leider stark beschädigte Polyptychon: außer den kleinen Tafeln mit Passionsszenen in der Predella hat Piero alle Gestalten auf klassischen Goldgrund gemalt. Doch alle Gestalten treten mit Kraft und Farbe gegen den Goldgrund an.

Aber es ist ein anderes Werk, das ihn zu dem Abstecher verführt hat. Piero hat es für das Rathaus seiner Heimatstadt geschaffen. Heute hat man das städtische Museum darum gruppiert. Er hatte das Gebäude zwar schnell gefunden, irrt aber doch herum bis er den Eingang findet. Was das Museum sonst noch bietet ist ganz interessant. Die kleine Sammlung zeitgenössischer Kunst ist aber eher banal. Auch bei besserer Qualität würde alles verblassen gegenüber Piero! Zuerst ein Raum mit dem Polyptychon und zwei stark zerstörten Fresken Fragmenten mit Heiligen. Eigentlich sind nur noch die Gesichter vorhanden. Dann betritt er den nächsten Raum: Da ist es!

Die Stirnseite nimmt ein fast quadratisches Fresko von Piero ein. Die beiden oberen Ecken werden von den Bögen des Gewölbes abgeschnitten, so wirkt das Bild ziemlich eingezwängt. Und doch ist es gerade ein Bild, das alle Fesseln sprengt! Es ist zweigeteilt. Im unteren Drittel vier Soldaten, von Pilatus zur Grabwache kommandiert. Sie schlafen vor der Wand des Grabmales, wie ein kniehohes Mäuerchen. Der Soldat ganz rechts ist in einer eher verkrampften Haltung, vielleicht weil er aus dem Schlaf aufschreckt. Denn hinter dem Mäuerchen erscheint der Auferstandene. In der Rechten hält er die Kreuzfahne. Die Linke liegt über seinem Knie. Denn der Auferstandene hat den linken Fuß auf den Rand des Grabes gestellt. Im nächsten Augenblick wird er kraftvoll über die Barriere, ja: springen! Das Rosafarbene Leichentuch gibt seine muskulöse Brust frei mit der blutenden Seitenwunde. Hier steht ein Mensch auf, ein Mann! Kraftvoll, mit angespannten Muskeln tritt er auf – im wahrsten Sinn des Wortes. Piero gestaltet völlig anders als Matthias Grünewald, dessen Auferstandener dem Irdischen schon entrückt, im göttlichen Glanz erstrahlt. Piero zeigt die Auferstehung des Fleisches, ganz konkret!“

Das war damals aus der, wenn auch frischen, Erinnerung beschrieben. Heute erkenne ich noch viel mehr in diesem Bild.

Auch wenn viele Bildelemente traditionell sind und auch in anderen Gemälden so vorkommen, einzig ist diese kraftvolle Gestalt des Auferstandenen, besser des Auferstehenden. Hier wird er eben nicht wie üblich über dem Grab schwebend dargestellt. Dieser kraftvolle Mensch. Er steigt aus dem Grab, der linke Fuß schon fest abgestützt auf dem Rand des Grabes. Es ist Aktion in dieser Darstellung.

Im Gegensatz die Haltung der Wächter. Teilweise unnatürlich verdreht, verkrampft, kauern sie vor dem Grab. Besonders werden die Vier durch ihre geschlossenen Augen gekennzeichnet. Diese so fest verschlossenen Augen stehen im starken Gegensatz zu den offenen dunklen Augen des Auferstehenden. Auffallend ist gerade die Gestalt ganz rechts, die von der Blickrichtung her IHM ins Auge schauen müsste. Sie sind da, aber nur körperlich anwesend, sie sind diesem außerordentlichen Geschehen gegenüber absolut blind: „Doch ihre Augen waren gehalten …“

Was die Darstellung des Auferstehenden noch weiter besonders macht, ist weniger dieser kraftvolle Körper, den hat u.a. auch Michelangelo so gestaltet (Die Statue des Auferstandenen in Sta. Maria sopra Minerva, Rom). Es ist das fast gewöhnlich aussehende Gesicht! Weder das verklärte Gesicht des ins Göttliche übergehenden Christus oder die edlen Züge eines strahlenden Helden.

Es ist das Gesicht eines Menschen!

Was ich bei meiner ersten Betrachtung gar nicht wahrgenommen habe, ist, wie Piero das Grab gestaltet hat! Jetzt ist mir klar: das ist nicht einfach die Frontseite eines Kastengrabes, nicht nur eine steinerne Barriere, wie ich es in der Erzählung genannt hatte. Piero hat hier einen Altar gestaltet. Diese wahrlich sinnliche Darstellung der Auferstehung verweist uns dadurch auf die sinnliche Erfahrung der Auferstehung, die uns möglich ist, in der Eucharistie! Dort erfahren wir immer wieder mit allen unseren Sinnen Ostern! Wir müssen nur unsere (inneren) Augen dafür öffnen.

„Und es geschah, als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach es und gab es ihnen. Da wurden ihre Augen aufgetan und sie erkannten ihn…“ Lk 24,30f

Pfarrer Matthias Ohlig

Schauen Sie sich das Video davon an:

https://boniwi.info/piero