St. Bonifatius Wiesbaden

„Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ – Das Misereor-Hungertuch

Aufsuchende Seelsorge, GemeindebriefPhilippe Jaeck

Das Hungertuch ist ein zentraler Bestandteil der MISEREOR-Fasten-aktion. An den Kirchorten haben Got-tesdienstbesucher in der Fastenzeit Gelegenheit, das aktuelle MISEREOR-Hungertuch der chilenischen Künstlerin Moreno Sánchez zu betrachten. In mehreren Gottesdiensten wird es Gegenstand von Predigten sein. Auch wird die Künstlerin zu einem Gesprächsabend nach Wiesbaden kommen.

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Das Bild entstand zu Beginn der Corona-Pandemie im Augsburger Atelier der Künstlerin Moreno Sánchez. Auch ihr Heimatland Chile wurde schwer von dem neuartigen Virus getroffen. Existenzängste und die drohende Überforderung des Gesundheitssystems verschärfen die bestehenden politischen und sozialen Probleme. Lilian Moreno Sánchez ist in der Zeit der Diktatur groß geworden, die in Chile nicht wirklich aufgearbeitet wurde. Doch sie glaubt an Veränderung, die möglich wird, wenn man sich den Gewalterfahrungen der Vergangenheit und Gegenwart stellt.

Schwarze Linien zeichnen das Röntgenbild eines Fußes, der mehrfach gebrochen ist. Der Fuß gehört zu einem Menschen, der bei einer Demonstration in Santiago de Chile durch die Polizei schwer verwundet worden ist. Seit Oktober 2019 protestieren dort auf dem „Platz der Würde“ viele Menschen gegen ungerechte Verhältnisse. Tausende Demonstranten wurden durch die Staatsgewalt brutal geschlagen und verhaftet. Dieser Fuß mit den sichtbaren Verletzungen steht stellvertretend für alle Orte, an denen Menschen gebrochen und zertreten werden.

„Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ – dieser Vers aus Psalm 31 steht als Titel über dem Hungertuch. Er beschreibt, was im Glauben alles möglich ist. Das Bild des Fußes lässt uns an Aufbruch, Bewegung und Wandel denken; das Bild des „weiten Raumes“ lässt uns aufatmen, wenn die Füße schwach werden. Der Psalm ist vor rund 2.500 Jahren entstanden, wohl in der Zeit des babylonischen Exils; in ihm werden Erfahrungen von Krankheit, Einsamkeit, Unterdrückung und Verzweiflung verarbeitet. Immer haben die Menschen Zuflucht bei Gott gesucht und gefunden. Aus der Enge der Angst blickten sie hinaus ins Weite und schöpften Kraft für einen Neubeginn – so wie die Betroffenen der Corona-Krise in Chile und weltweit den Aufbruch wagen und ihr Leben wieder neu aufbauen.

Gerade in der Fastenzeit sind wir eingeladen, umzukehren und für das gute Leben aller Menschen aufzustehen. Das Hungertuch kann uns berühren, so wie Jesus seine Freunde am letzten Abend berührt hat. Er wusch ihnen die Füße (vgl. Joh 13,4) als Zeichen dafür, dass sie zu ihm gehören und als Aufforderung, in seiner Nachfolge neue Wege zu den Menschen zu finden. Stärker als in dieser Geste lässt sich die unantastbare Würde nicht ausdrücken, die jedem Menschen zukommt.

MISEREOR sorgt sich um das gute Leben aller Menschen, besonders der Armen, und um den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Wir wissen, dass wir die Dinge ändern können. Beginnen wir jetzt einen Aufstand für das Leben!

Moreno Sánchez hat ein Hungertuch mit wenigen Farben gestaltet und eine ungewöhnliche Grundlage verwendet: Es ist auf dreierlei Bettwäsche aus einem Krankenhaus und einem bayerischen Frauenkloster gemalt. Damit macht die Künstlerin deutlich: es kommt auf die körperlichen und die seelisch-spirituellen Gesichtspunkte von Krankheit und Heilung an. Auf dem „Platz der Würde“ in Santiago de Chile hat sie Staub eingesammelt und in die Laken gerieben. Der Stoff ist nicht glatt und makellos, graue Flecken und Falten überziehen ihn. Er ist vielfach übereinander gelegt, an Schnittmuster erinnernd, auseinander klaffend wie verletzte Haut und mit goldenem Zickzack wieder zusammengenäht, um Heilung zu ermöglichen.

MISEREOR / Heiko Litz, Gemeindereferent
Bild: Das MISEREOR-Hungertuch 2021 „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“
von Lilian Moreno Sánchez © MISEREOR

Künsterlinnengespräch

Der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) ist es gelungen, Moreno Sánchez nach Wiesbaden einzuladen. Am Mittwoch, 24. März 2021 von 19 bis 20:30 Uhr ist sie im Pfarrsaal in St. Bonifatius zu Gast. Die Anmeldung erfolgt über die KEB Wiesbaden.

www.keb-wiesbaden.bistumlimburg.de