St. Bonifatius Wiesbaden

Schaut hin… Ökumene mit der Eritreisch-Orthodoxen Gemeinde in Wiesbaden

Gemeindebrief, Theologie SpiritualitätPhilippe Jaeck

Das Wort „Ökumene“ bedeutet übersetzt: „die ganze bewohnte Erde“. Die frühen Christen umschrieben damit die gesamte Kirche. Bei aller Unterschiedlichkeit der Sprache, der kulturellen Prägung und der Liturgie verbindet uns der Glaube an den dreieinigen Gott. Tiefes Vertrauen auf Gottes Führung und Hilfe, die einende Kraft des gemeinsamen Gebetes ist gerade im Kontakt mit unseren eritreischen Mitchristen spürbar.

Zum Interview treffe ich mich mit vier Vertretern der Gemeinde St. Rufael: dem Priester Solomon Tesfom, dem Diakon Abraham Eyassu, dem offiziell benannten Vermittler und Übersetzer der eritreisch-orthodoxen Gemeinde St. Rufael, Estifonos Tabot, sowie Herrn Simon Jahkob. Nach längerer Unterbrechung durch Corona können wir, Gemeindereferentin Marion Lindemann, bis Juni Kontaktperson in St. Michael und die Vertreter der Gemeinde St. Rufael uns wieder zum Austausch treffen. Diesmal stehen nicht konkrete Fragen vor Ort im Mittelpunkt, sondern die Bitte, dass die Eritreisch-Orthodoxe Gemeinde St. Rufael sich im Gemeindebrief vorstellt.

In Eritrea ist die eritreisch-orthodoxe Tewahedo-Kirche mit ca. 2 Millionen Gläubigen (= 40 % der Bevölkerung) eine bemerkenswerte Glaubensgemeinschaft. In Wiesbaden sind Sie eine Minderheit und leben Ihr Glaubensleben unter völlig anderen Umständen. Wie wirkt sich das aus auf Ihr Gemeindeleben?

Menschen, die aus Eritrea nach Deutschland kommen, haben auf der Flucht Schlimmes erlebt. Die neue Sprache und die andere Kultur verlangt ihnen viel ab. Sie sind verstreut in ganz Deutschland, umso dankbarer sind wir, dass wir hier einen Ort haben, um uns zu versammeln und gemeinsam Gottesdienst zu feiern. Unser Glaube prägt uns und wir vertrauen in jeder Situation auf Gottes Hilfe. Durch Unterweisung und Unterstützung im Alltag tragen wir dazu bei, dass die jungen Menschen lernen, ein christliches Leben zu führen. Unseren älteren Gemeindemitgliedern erweisen wir Respekt und Wertschätzung, indem wir sie besuchen und hören, was sie bewegt.

Als Gemeinschaft wünschen wir uns, dass wir eines Tages eine eigene Kirche haben.

Mit einer eigenen Kirche könnten sie weitere Angebote machen. Momentan sind Sie eingeschränkt, was die Räume und die Nutzungszeiten angeht. Um eines werden viele christliche Gemeinden Sie beneiden: an Geistlichen haben Sie keinen Mangel. Jede Woche feiern Priester (Plural!) und Diakone mit der Gemeinde St. Rufael Gottesdienst.

Bis 2016 sind wir Sonntags nach Frankfurt zum Gottesdienst gefahren. Als Pfarrer Solomon nach Wiesbaden kam, wohnte er in der Flüchtlingsunterkunft in der Mainzer Straße. Er hat dort begonnen, mit seinen Landsleuten zu beten, hat Beichte gehört und vieles mehr.

Seit 2016 feiern wir in der Kirche St. Michael Gottesdienste, bis 2020 haben wir uns auch zu festlichen Anlässen im Gemeindesaal getroffen (Hochzeit, Taufe, Trauerfeier, Kirchliche Feste). Durch die Hygienemaßnahmen müssen wir uns zeitlich einschränken, es können noch immer keine Chorproben, Feste und Unterweisung der Jugendlichen stattfinden. Das trifft unsere Gemeindemitglieder hart, denn die gemeinsamen Gottesdienste und Begegnungen stärken unseren Glauben und den Zusammenhalt. Zu den Gottesdiensten in St. Michael kommen Menschen aus der gesamten Region.

Momentan haben wir zwei Priester und drei Diakone. Sie versehen ihre Dienste in der Gemeinde neben ihrem Beruf. Das heißt, dass z. B. Diakon Abraham direkt von seiner Nachtschicht zum Gottesdienst in der Gemeinde kommt.

Erzählen Sie bitte unseren Lesern, unter welchen Umständen die orthodoxe (Tewahedo-) Kirche in Eritrea entstanden ist.

Jetzt wird es lebhaft, denn jeder der Anwesenden kennt Einzelheiten zur Entstehung seiner Kirche. Ich fasse hier das Wesentliche zusammen:

Im 4. Jahrhundert (340 n. Chr.) gründete Phremenates, ein Heiliger aus Griechenland, das erste Kloster in Debrezina. Dieses Kloster existiert heute noch. Viele Könige kamen nach Debrezina, wurden im Kloster im Glauben unterrichtet, getauft und sind danach in ihre Heimat zurückgekehrt.

Nach der Überlieferung ist Maria, die Mutter Jesu, nach Ägypten geflohen. Auf der Suche nach Marias Spuren sind neun weitere Heilige aus dem Westen nach Eritrea gekommen und haben insgesamt 23 Klöster gegründet. Griechen und Römer kamen, besetzten das Land und jede Besatzung versuchte, die eigene Kultur und die eigene Glaubenstradition in Eritrea durchzusetzen. Da alle Traditionen mündlich überliefert wurden, gingen viele Glaubens- und Kulturgeschichten verloren. Die Äthiopische Kirche erzählt heute ihre Entstehungsgeschichte aus einer anderen Sicht als die Eritreische Kirche.

Wir unterscheiden zwei Gruppen von Orthodoxen Kirchen: das Verständnis der orientalisch-orthodoxen Kirchen (in Eritrea, Äthiopien, Syrien, Ägypten, Indien sowie die Aramäer) unterscheidet sich deutlich von den Griechischen oder Russischen Orthodoxen Kirchen. Bei den orientalisch-orthodoxen Christen gibt es nur kleine Unterschiede im Ablauf des Gottesdienstes. Jeder kann den Gottesdienst des anderen mit verfolgen.

Vielen Dank für diesen interessanten Einblick. Ich spüre ganz viel Begeisterung, wenn Sie über Ihre Kirche und ihre Geschichte berichten. Erzählen Sie uns bitte, wie Sie Liturgie feiern.

Der Sonntag ist bei uns der Tag, an dem wir zusammen kommen zum Gottesdienst. Normalerweise findet alles innerhalb des Sonntagsgottesdienstes statt: Taufe, Hochzeit und Gedenken an die Verstorbenen. Am Vorabend der Liturgie bereiten wir die Kirche vor: Teppiche werden in der Kirche ausgebreitet, denn wir ziehen am Eingang der Kirche unsere Schuhe aus. Der Altar wird mit einer Art Pavillon aus Stoff umhüllt, denn nur die Geistlichen dürfen den heiligen Raum mit der Bundeslade betreten. Darstellungen von Engeln und Heiligen werden im Kirchenraum aufgehängt.

Die Anwesenheit der Bundeslade ist die Voraussetzung, dass wir Gottesdienst feiern können. An jedem Gottesdienst wirken mindestens ein Priester und drei Diakone mit.

Der Gottesdienst dauert normalerweise bis zu vier Stunden, es wird getrommelt und gesungen. Durch die Hygiene-Bestimmungen müssen wir unsere Gottesdienste stark kürzen. Jetzt darf der Gottesdienst nur eine Stunde dauern.

Es ist für unsere Gottesdienstbesucher schmerzlich, dass wir keinen Sonntagsgottesdienst feiern können. Samstags müssen viele arbeiten, auch zum Beispiel unser Diakon.

Wegen der Hygienevorschriften wurden die Gottesdienste der katholischen Gemeinde auf den Sonntagmorgen, die der orthodoxen Gemeinde auf Samstagmorgen gelegt. Nur so kann die Kirche gut durchgelüftet und desinfiziert werden.

Wenn Sie sich einen Gottesdienst in unserem Ritus ansehen möchten, empfehlen wir Ihnen dieses Video:

Der Gottesdienst – mit allen freudigen und traurigen Ereignissen – steht für Sie im Mittelpunkt. Andere Orte der Begegnung vertiefen den Glauben und schaffen Räume der Begegnung.

Nach dem Gottesdienst bleiben wir noch zusammen. Bis die Hygiene-Vorschriften es untersagten, hatten wir wöchentliche Chorproben, Unterricht für unsere jungen Menschen und Gelegenheit zur Beichte. Wir hoffen, dass wir bald wieder zusammen kommen können. Und dass wir wieder Sonntags unseren Gottesdienst feiern können.

Das hoffe ich für uns alle. Wir hatten uns ja vorgenommen, Begegnungen zwischen den Konfessionen vor Ort (St. Rufael und St. Michael) zu ermöglichen: uns einzuladen zu besonderen Gottesdiensten und zum Austausch. Damit müssen wir wohl noch etwas warten. In Zukunft wird mein Kollege Heiko Litz , den Sie alle kennen, Ihr Ansprechpartner sein.
Welchen Status hat die Gemeinde St. Rufael innerhalb der kirchlichen Institutionen?

St. Rufael hat den Status eines eingetragenen Vereins mit eigener Satzung.

Meine letzte Frage: wie sind Sie innerhalb der Ökumene in Wiesbaden vernetzt ?

Wir nehmen regelmäßig an den Treffen der ACK (= Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen) teil und haben dort den Antrag gestellt, dass wir in die ACK aufgenommen werden möchten. Vertreter unserer Gemeinde beteiligen sich an ökumenischen Gottesdiensten und Veranstaltungen auf Stadtebene. Dadurch sind wir in Kontakt mit verschiedenen Konfessionen in Wiesbaden.

Ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch und bitte Pfarrer Solomon, uns den Segen zu spenden.

Pfr. Solomon betet in seiner Muttersprache, in tigrinia. Ich verstehe nur ein einziges Wort, das sich wie ein roter Faden durch das Gebet zieht: Jesus.

Die Fragen stellte diesmal
Marion Lindemann, Gemeindereferentin