St. Bonifatius Wiesbaden

Dem Himmel so nah...

Gemeindebrief, Theologie SpiritualitätPhilippe Jaeck

Unter diesem Titel hatte ich eine dreiteilige Reihe zu Heiligen, die in Krisenzeiten der Kirche heilsam wirkten, und zu denen ich persönlich eine besondere Beziehung habe. Geplant war ein „Erzählcafé“. Auf der Dachterrasse des Roncalli Hauses wollte ich jeweils über eine der Gestalten erzählen und mit den Teilnehmer*innen ins Gespräch kommen. Die Corona-Pandemie hat uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht. Doch so einfach ausfallen lassen möchte ich die Sache dann doch nicht. Statt Erzählcafé gibt es nun jeweils einen Artikel hier im Gemeindebrief und begleitend ein Video. Diesmal Franz und Klara von Assisi, hier mit meinen Gedanken zu Person und Wirken. Im Video mit dem Kollegen Stefan Herok werde ich im ehem. Franziskaner Kloster St. Elisabeth in Wiesbaden im Dialog über meinen persönlichen Zugang, meine Erfahrungen und meine Begegnungen mit franziskanischen Menschen erzählen.

„Mein“ Franziskus

IMG_8131.jpg

Franziskus ist wohl einer der, im besten Sinne des Wortes, populärsten Heiligen. Da schwirren die unterschiedlichsten Bilder herum: der Bruder Immerfroh, der Gaukler Gottes, Heiliger des Tierschutzes, Erfinder des Krippenspiels u.v.m. So fing auch meine Begegnung mit ihm mal an, als Abiturient, Zivi, Student. Das war Ende der Siebziger im Trend: „Anders leben, damit andere überleben“ war das Motto.
Erst spätere Erfahrungen, gerade „vor Ort“ haben zu einem vertieften und differenzierten Bild dieser großartigen aber auch widersprüchlichen Figur geführt und für mich die Hl. Klara aus dem großen Schatten von Franz herausgeholt. Ich möchte jetzt weniger die Biografie beschreiben, von keinem Heiligen existieren mehr zeitgenössische und Lebensgeschichten, Erzählungen und bis heute gibt es unzählige Bücher über sein Leben. Ich möchte mit Ihnen teilen, was mir an diesem Heiligen besonders wichtig geworden ist.

Franziskus in seiner gesellschaftlichen und politischen Umwelt

Franziskus war ein Kind seiner Zeit. Er gab mit seinem Leben Antwort auf die Probleme von Kirche und Gesellschaft. Für mein Verständnis der Einzigartigkeit gehörte es, ihn in seiner konkreten Welt zu sehen. Die italienischen Städte waren damals eigene politische Größen, meist in Konkurrenz zu den Nachbarn. So gerät Franziskus in einen kriegerischen Konflikt zwischen seiner Heimat Assisi und der großen Rivalin Perugia. Er wird gefangen genommen und erst nach Lösegeldzahlung freigelassen. Ein Baustein seiner Bekehrung! Die Stadtgesellschaft war eine klare Klassengesellschaft, ähnlich unseren Gesellschaften, auch wenn wir heute lieber von „Schichten“ sprechen. Es gab drei Klassen die „Maiores“, die Herrscherschicht der Adligen, Grundbesitzer, die anders als im nördlichen Europa nicht auf Burgen, sondern in der Stadt lebten, die „Minores“, die Bürgerschicht, Händler und der ganze Rest, kleine Handwerker, Bauern, Arme. Es ist bezeichnend, dass es für die keinen Parteinamen gab!
Der politische (auch öfter gewalttätige) Konflikt fand zwischen den Parteien der Maiores und Minores statt. Franziskus mittendrin! Mit der Partei seiner Schicht, der Minores, der Vater war reicher Tuchhändler mit guten Kontakten nach Südfrankreich, kämpft er mit um größeren Einfluss gegen den Adel, eigentlich will er sogar in diese Schicht aufsteigen. Doch irgendwann entdeckt der Partykönig der reichen Jugend der Stadt, wie hohl seine Welt ist. Mit der ihm eigenen Radikalität dreht er sich auf Gottes Anruf hin um 180 Grad. Nicht die Oberschicht, sondern die Namenlosen sind seine Brüder und Schwestern! Sein Minnedienst gilt der „Frau Armut“. Doch noch schärfer ist der Weg von Klara! Sie ist Mitglied der Oberschicht und als Frau in dieser Gesellschaft ist ihr der Weg eigentlich längst von der Familie vorbestimmt. Ihr Ausstieg ist noch schwerer.

Bekehrung fällt nicht einfach vom Himmel

Es ist ein längerer Prozess, der neue Weg des Franziskus. Es bedarf erstmal des mehrfachen Scheiterns mit seinen Versuchen in den Ritterstand auf zu steigen. Diese Erfahrungen, begleitet von Träumen (Visionen), führen zu der Erkenntnis, dass er den falschen Idealen nachhängt. Eine Begegnung mit einem Aussätzigen, die mystische Erfahrung vor dem Kreuz in der verfallenen Kirche San Damiano: „Bau meine Kirche wieder auf!“ und die Vollendung des Prozesses beim Hören des Evangeliums des Matthiastages in der kleinen Kapelle „Hl. Maria von den Engeln“ (wegen der „Größe“ Portiuncula = Stückchen genannt): „Er sagte zu ihnen: Nehmt nichts mit auf dem Weg, keinen Wanderstab und keine Vorratstasche, kein Brot, kein Geld und kein zweites Hemd“ (Lukas 9,3)

Auf dieses Evangelium antwortet er „jetzt weiß ich, was ich will!“!

Ein kleiner Mensch mit großer Wirkung

Assisi IMG_8132.jpg

Es ist erstaunlich, wie dieser kleine Außenseiter eine Weltbewegung auslöst. Franziskus muss ein charismatischer Typ gewesen sein. Schon bald schart er erst mal eine kleine Gruppe um sich. Sicher geht das mit seiner Persönlichkeit zusammen. Doch das allein kann es nicht sein, was dazu führt, dass die Bewegung sich schon zu seinen Lebzeiten in Süd- und Mitteleuropa verbreitet. Er hat wohl mit seiner radikalen Umsetzung des Evangeliums, das was im20. Jahrhundert „Option für Armen“ benannt ist, zu leben, einen Nerv der Zeit getroffen und fasziniert auch über die Zeit hinweg bis heute.

Franziskus und die Kirche –
gehorsam und subversiv!

Die Kirche seiner Zeit ist reich, saturiert und vor allem massiv verknüpft mit der Macht. Das Auftreten von Franziskus fällt in das Pontifikat von Innozenz III, dem wohl politisch mächtigsten Papst der Geschichte. Andererseits ist die Kirche seit einigen Generationen von verschiedenen alternativen Bewegungen bedroht. Besonders gefährlich ist die Bewegung der Katharer, unser Begriff „Ketzer“ geht auf diese Gruppe zurück. Zum „Herrn Papst“, zu diesem machtbewussten Papst, zieht Franziskus mit den ersten Gefährten, um die kirchliche Erlaubnis für seine Gruppe zu bekommen. Ausgerechnet Innozenz III erlaubt Franziskus seinen Weg. Franziskus steht immer im Gehorsam zur Kirche, ist im Austausch mit dem ihm zugewiesen Kardinal. Aber, und das gefällt mir besonders an ihm, es gibt immer wieder geradezu subversive Tendenzen bei Franziskus und seiner Bewegung. Stichworte: Portiuncula Ablass, Umgang mit der Leiblichkeit. Da es den Rahmen des Artikels sprengt, das auszufalten, verweise ich auf das Video!

Franziskus, der Kreative

Franziskus muss wohl gebildeter gewesen sein, als man lange Zeit vermutete. Er kannte wohl durchaus Latein und muss viel von der Bibel gekannt haben. Er hat aus verschiedenen Versen der Psalmen neue Psalmen für sein eigenes Stundengebet zusammengestellt. Er war aber auch mit seinem Sonnengesang der erste Dichter der italienischen Volkssprache. Der Sonnengesang ist auch mehr, als nur ein schönes Loblied. Es ist sprachlich und auch theologisch ein Meisterwerk! (Auch dazu mehr im Video)

Ein weiterer Höhepunkt seiner Kreativität ist die Inszenierung der Weihnachtsgeschichte in Greccio, am Rande des Rietitales.

Wie Orte und Landschaft prägen und auch den Zugang ermöglichen

Ja, es ist wirklich faszinierend, wie sehr die Orte und Landschaften des Franziskus ihn mit geprägt haben und auch uns den Zugang erleichtern. Wenn man Assisi besucht, durch die Gassen zieht, auf das weite Umbrische Tal schaut, die Einsiedeleien des Rietitales erkundet, kann man spüren, wer dieser Mensch war und was ihn bewegte. Auf dem La Verna kann man in dieser Landschaft besonders auch die andere, dunkle, depressive Seite von Franz spüren. Vergleichbares ist mir für andere Heilige so nicht bewusst, gerade auch nicht für die zweite Folge der Reihe.

Mulier Fortis – die starke Frau an seiner Seite

Ein Artikel über Franziskus ist amputiert, wenn Chiara aus der Familie Favarone di Offreduccio nicht vorkäme. Der Name zeigt schon, das Chiara/Klara aus der adligen Oberschicht stammt. Da wäre ihr Leben als Adlige, als Frau absolut vorbestimmt gewesen, wenn sie nicht durch die Begegnung mit Franziskus einen absoluten Trennungsstrich gezogen hätte. Quasi durch eine Verschwörung, mit dem Bischof im Bunde, verlässt Klara alles und schließt sich den Gefährten an. Kirche und Gesellschaft lassen ihren Wunsch, wie die Gefährten predigend durch die Lande zu ziehen, nicht zu. Sie zieht mit Gefährtinnen in San Damiano ein, lebt die Armut, die die Kirche am Anfang für eine Frauengemeinschaft nicht zulassen wollte. Trotz strengster Klausur ist sie Freundin, Beraterin von Franziskus, steht durchaus im Austausch mit der Welt (Briefwechsel mit Agnes von Prag), erkämpft gegen die Kirche ihr „Armutsprivileg“, das ihr auf dem Totenbett gewährt wird, und verfasst als erste Frau eine eigene Ordensregel. Besonders gefällt mir ihr Gebet: „Herr sei gelobt, weil Du mich erschaffen hast!“

Nicht nur Mensch des Mittelalters

Franz und Klara stehen voll und ganz in den Verwerfungen von Kirche und Gesellschaft ihrer Zeit und sind doch in ihrer Art und Weise das Evangelium zu leben immer wieder höchst aktuell. Aber nicht zu vergessen: Der Name der Ordensbrüder von Franziskus offenbart, zumindest im süddeutschen Sprachraum, etwas Wesentliches: Franz is kaner!

Vorschau

wir bleiben in Italien, gehen aber von Assisi in Umbrien nach Siena in der Toskana...
Pfarrer Matthias Ohlig (auch Fotos)