St. Bonifatius Wiesbaden

Die Macht der Ohnmacht

Gemeindebrief, Theologie SpiritualitätPhilippe Jaeck

Die Geburt des wehrlosen Kindes in Bethlehem zeigt uns, dass nicht Gewalt das letzte Wort haben wird.

Wie oft bin ich ahnungslos an diesem Bild vorbeigelaufen, wenn ich in der Kirche San Domenico in Siena war. Unscheinbar an der rechten Wand, vor dem Querschiff, nicht weit von der Kapelle mit der Kopfreliquie der Hl. Caterina mit den Fresken des großen Renaissancemalers Sodoma, fällt das Gemälde kaum auf. Kein bekannter Künstler, ein Weihnachtsbild, wie es viele gibt, in Kunstführern bestenfalls nebenbei erwähnt. Doch einmal ist mein Blick an diesem Bild hängengeblieben. Eine Weihnachtsszene.

Der Maler nimmt statt eines Stalles eine Ruine als Standort. Das ist erstmal nicht ungewöhnlich, in Renaissance und Barock durchaus üblich. Doch was ist das für eine Ruine? Es ist ein Triumphbogen! In der römischen Antike das Symbol der Macht, besonders der militärischen Gewalt. Durch diese Bögen zogen die siegreichen Feldherren mit ihren Soldaten, der Kriegsbeute und gedemütigten Gefangenen im Triumph zum Kapitol.

Dieser Triumphbogen ist kaputt, und auf dem heruntergebrochenen Schlussstein liegt das neu geborene Kind! Der triumphale Einzug Gottes in unsere Welt stellt unsere Ordnung auf den Kopf, besser: Er stellt unsere Ordnung vom Kopf auf die Füße! Nicht Macht, Gewalt, Reichtum, Unterdrückung und Demütigung begleiten Gottes Einzug. Ein kleines Kind, wehrlos, schwach, bringt letztlich die falschen Sicherheiten, den Glauben an die Macht des Stärkeren, der unsere Weltordnung prägt, zu Fall.

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Seit der Nacht von Bethlehem tickt die Weltuhr anders. Auf orientalische Weise, über Erzählungen, berichten die Kindheitsevangelien von Lukas und Matthäus genau das, was der Maler ins Bild bringt.

Da ist bei Lukas ein Akt der Bürokratie, Eintragung in Steuerlisten, der Maria und Josef in diesem diffizilen Augenblick, hochschwanger, auf die Reise schickt. Die Geburt geschieht in unwirtlichen Verhältnissen. Die Botschaft von der anderen Welt wird zuerst Menschen draußen vor Tür, den Hirten, verkündet. Und es heißt, dass der Glanz des Herrn sie umstrahlt.

Auch bei Matthäus zeigt sich die neue Welt in der Geschichte der Sterndeuter, die zwar sich zuerst durch den Glanz der Hauptstadt ablenken lassen. Doch die Suche nach dem Neugeborenen bringt dort die Mächtigen, eigentlich unrealistisch betrachtet, in Panik. Die nach dem Motto „Wissen ist Macht“ handeln, geraten in Chaos.

Hier wird deutlich, was allein aus der scheinbar ehernen Weltordnung führt: die Macht der Ohnmacht. Die Geschichte der Menschen zeigt zwar täglich immer wieder neu, dass die übliche Antwort auf Gewalt mit Gegengewalt nichts ändert, außer dass sich die Akteure verändern. So kann es nicht weitergehen.

Das Kind, das den Triumphbogen zerstört, zeigt uns die Botschaft von Weihnachten, das, was Gott vorhat. Wir sollen, wir können aus der Gewaltspirale aussteigen.

So gesehen ist dieses Fest, jenseits der durchaus sympathischen Gefühlswelt, im Grunde ein zutiefst ernstes, uns herausforderndes Fest. Es ist ein Fest der Hoffnung, das Mut macht zu glauben, dass es gelingen kann, dass trotz alledem, trotz der scheinbar stahlharten Regeln, unsere Welt zu Gottes Welt werden kann.

Gott bekommt im wehrlosen Kind Hand und Fuß, er wird Mensch ohne Wenn und Aber, er zeigt uns seine unüberbietbare Solidarität mit uns, seinen Menschen. Er zeigt, wie wichtig wir ihm sind und was er mit uns vorhat:

Gott wird Mensch,
damit der Mensch Gott wird
— Hl. Augustinus


Pfarrer Matthias Ohlig