St. Bonifatius Wiesbaden

Karfreitag

Theologie SpiritualitätAutor

Die eigenen Kreuzerfahrungen mitbringen

Karfreitag – alle Jahre wieder, könnte man sagen. Alle Jahre wieder das gleiche: Frühschicht, um 15 Uhr Passion, danach nach Hause gehen… alle Jahre wieder?! Ja, vom Prinzip feiern wir alle Jahre wieder dasselbe. Jedes Jahr aufs Neue erinnern wir uns an Jesu Verurteilung, Verspottung, an seine Schmerzen und seinen Tod. Wir verehren sein Kreuz, singen die gleichen Lieder… alles dasselbe. Aber eben nur vom Prinzip – denn Karfreitag, so behaupte ich, erleben wir immer wieder in unserem Alltag, das ganze Jahr über. An Karfreitag und jedem anderen Tag unseres Lebens stehen wir Situationen gegenüber, in denen wir uns ohnmächtig fühlen, ohnmächtig wie die Jünger damals. Dann, wenn ich sehe, dass jemand in sein Unglück rennt, ich ihn aber nicht davon abhalten kann. Dann, wenn ich vor lauter Angst wie gelähmt bin und dadurch handlungsunfähig werde.

Kreuzweg in der Kapelle von St. Andreas. Foto: B. Dahlhoff

Wir erleben Situationen, in denen wir selbst oder andere verspottet, ausgebeutet, im übertragenen Sinne hingerichtet werden.

Wir finden uns in Situationen wieder, die auch Petrus damals erlebt hat: In denen wir unsere Taten oder Menschen, Orte, Kirche, unseren Glauben… verleugnen oder gar verraten.

Wir erleben Situationen, in denen wir wie Jesus am Kreuz schreien möchten: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“

Wir erleben Situationen, in denen wir schuldig werden und uns hinterher schämen und es am liebsten ungeschehen machen möchten.

Wir stehen Situationen gegenüber, in denen wir merken, dass unser Leben oder das eines anderen Menschen durchkreuzt wird.

Wir müssen den Tod von nahestehenden Menschen verkraften.

Karfreitag erleben wir im Laufe des Jahres in all seinen Ausprägungen, ganz unterschiedlich.
Karfreitag, das ist aber auch die Chance, über die Karfreitage des Jahres nachzudenken, und sie dann, bei der Kreuzverehrung Jesus mit ans Kreuz zu geben. Ihn zu bitten, dass er unsere Karfreitagserfahrungen des letzten Jahres mitnehmen möge und uns an Ostern verwandelt, sozusagen auferstanden, zurückgeben möge. Jesus unsere Kreuzerfahrungen hinzuhalten und abzugeben, damit wir neu, österlich, unseren Alltag gestalten können.

Carolin Enenkel, Gemeindereferentin