St. Bonifatius Wiesbaden

„Mehr als du siehst“

Bistum Limburg, Gemeindebrief, Theologie SpiritualitätPhilippe Jaeck

Das Leitwort für den Prozess der Kirchenentwicklung in Glaube, Kirche und Alltag

Anfang April haben wir Ostern gefeiert. Die Frauen und Jünger sehen ein leeres Grab; aber darin ist mehr verborgen: der Glaube an die Auferstehung, ohne den das Christentum nicht entstanden wäre. Vierzig Tage hindurch ereignen sich merkwürdige Begegnungen: Maria Magdalena sieht einen Gärtner, die Emmaus-Jünger begegnen einem Fremden – um in diesen unscheinbaren Gestalten bei näherem Hinsehen Jesus selbst zu entdecken. Und Jesus selbst? Du siehst einen Menschen – doch er ist Gott… Dann kam das Fest Christi Himmelfahrt. Was die Jünger zu sehen bekamen, war, dass Jesus sie verlässt. In Wirklichkeit will er – in seinem Heiligen Geist – nun nicht mehr nur für sie da sein auf einem begrenzten Fleckchen Erde in einer begrenzten Zeitspanne, sondern für alle Menschen durch alle Zeiten hindurch. Zu Pfingsten sieht man ein paar Betrunkene auf der Straße stehen – unscheinbares Zeichen für die Ankunft des Heiligen Geistes …

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Kaum ist der Osterfestkreis abgeschlossen, kommt das Fronleichnamsfest. Wir tragen ein unscheinbares Stückchen Brot durch die Straßen. Darin anschaubar und essbar: mehr als man sieht, nämlich der auferstandene Herr. Wie in allen Sakramenten: ein bisschen Wasser oder Öl, eine Handauflegung und dazu ein paar Worte bedeuten dem Glaubenden mehr, als man sieht, nämlich die leibhaftige Begegnung mit Gott selbst.

Nun ist es erst einmal vorbei mit den großen Festen, der kirchliche Alltag kehrt wieder ein. Mir fällt es jedes Mal aufs Neue schwer, nach dem Osterfestkreis in den Alltag zurückzufinden. Der Festkalender der Kirche nimmt im Grunde die Wellenbewegungen eines normalen menschlichen Lebens auf: Auf einen spannenden und erholsamen Urlaub folgt der graue Arbeitsalltag, auf Phasen großer Aktivität und vieler neuer Erfahrungen oft eine Zeit großer Müdigkeit und Langeweile, auf die Flitterwochen einer neu erwachten Liebe Erfahrungen der Dürre in der Begegnung. Und auch auf der Ebene der Gemeinschaft der Kirche folgen, wie wir gerade jetzt an vielen Stellen ängstlich fragend wahrnehmen, Zeiten der Orientierungslosigkeit und des Umbruchs.

Doch ich glaube, auch solche Phasen enthalten für uns Christen mehr, als wir zunächst sehen. Jesus begegnet nicht nur in den Fest- und Freudenzeiten unseres Lebens, sondern auch im scheinbar leeren Alltag, sogar und gerade im Leid – so sehr, dass er sich im Evangelium mit den Leidenden, Kranken und Hungrigen identifiziert.

Vielleicht können uns solche Zeiten in Kirche, Welt und persönlichem Leben wieder mehr dafür öffnen, wirklich und ernsthaft nach Gott und seinem Willen zu fragen. Trost und Hilfe ist mir das Wort des Jesuiten Alfred Delp: „Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und in den bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen. Das gilt für alles Schöne und auch für das Elend. In allem will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort. Dann wird das Leben frei in der Freiheit, die wir oft gesucht haben.“

Anna Niem, Pastoralreferentin