St. Bonifatius Wiesbaden

Brücke zwischen den Menschen, Brücke zu Gott: Das Kreuz von San Damiano

GemeindebriefPhilippe Jaeck

Der Heilige Franziskus und das Kreuz von San Damiano

Wer sich, wie ich, dem Heiligen Franziskus und seiner Bewegung besonders verbunden verbunden ist, begegnet fast zwangsläufig immer wieder dem sog. Franziskuskreuz. Eigentlich ist es das Kreuz von San Damiano. Es spielt für den Weg zur Bekehrung dieses Giovanni Bernardone, gen. Francesco eine ganz besondere Rolle:

Eines Tages, als er Gottes Barmherzigkeit noch inniger angerufen hatte, zeigte ihm der Herr, daß ihm sehr bald gesagt werde, was er tun müsse. Daraufhin war er von solcher Freude erfüllt, daß er sich vor Fröhlichkeit nicht fassen konnte und etwas von diesen Geheimnissen, ohne es zu wollen, vor den Menschen verlauten ließ … Als er einige Tage nachher an der Kirche S. Damiano vorbeiging, wurde ihm im Geiste gesagt, er solle zum Beten hineingehen. Er betrat die Kirche und begann innig vor einem Bild des Gekreuzigten zu beten, das ihn liebevoll und gütig ansprach, indem es sagte: „Franziskus, siehst du nicht, daß mein Haus in Verfall gerät? Geh also hin und stelle es mir wieder her!“ Zitternd und staunend sprach Franziskus: „Gerne, Herr, will ich es tun“. Er meinte nämlich, daß sich das Wort auf jene Kirche S. Damiano beziehe, der ihres sehr hohen Alters wegen ein baldiger Einsturz drohte. Jene Anrede aber erfüllte ihn mit so großer Freude und erleuchtete ihn mit so hellem Licht, daß er Christus den Gekreuzigten, der zu ihm gesprochen, wahrhaft in seinem Herzen fühlte. Als er aber aus der Kirche trat, fand er den Priester neben ihr sitzen, griff mit seiner Hand in die Börse und überreichte ihm eine nicht geringe Summe Geldes mit den Worten: „Ich bitte dich, Herr, kaufe Öl und laß immer die Lampe vor jenem Kruzifix brennen; und wenn das Geld dafür aufgebraucht ist, so gebe ich dir wiederum soviel, wie dienlich ist“

(aus der „Drei Gefährten Legende“)

Kreuzbilder

Lange Zeit scheuten sich Christen Christus am Kreuz darzustellen. Zu nah war ihnen diese brutale Strafe. Erst als diese nicht mehr verwendet wurde begann man langsam den Gekreuzigten darzustellen. Zuerst wird er aber nicht als Leidender sondern als Sieger dargestellt: aufrecht eher vor dem Kreuz stehend. Er breitet vor dem Querbalken die Arme aus im Sinne der Worte im Johannesevangelium: wenn ich erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen. Teilweise wird Christus auch nicht nackt, mit Lendentuch, sondern im byzantinischen Königsgewand dargestellt. Die berühmteste Darstellung ist das „Volto Santo“ (Heiliges Antlitz) im Dom von Lucca.

Diese Darstellung wurde von italienischen Händlern im frühen Mittelalter in Europa weit verbreitet. Als man im Gewand des Gekreuzigten nicht mehr das Königsgewand erkannte. Die Ähnlichkeit zu Frauenkleidern des Hochmittelalters führte zu Irritationen und man fragte sich, wer ist diese bärtige Frau am Kreuz? Es entwickelten sich die Legenden von der Hl. Kümmernis oder der Hl. Wilgefortis: eine Jungfrau bittet Gott um Hilfe ihre Jungfräulichkeit zu bewahren. Gott schenkt ihr Bartwuchs. Das fördert die Wut der Heiden und sie wird gekreuzigt. Daraus entwickelte sich eine eigene Bildsprache.

Im Laufe der Gotik entwickelte sich dann die Darstellung des leidenden, sterbenden Christus am Kreuz. Höhepunkt ist die brutal realistische Darstellung des Leidens im Isenheimer Altar von Matthias Grünewald.

Das Kreuz von San Damiano steht gerade mitten im Übergang vom Erhöhten zum Leidenden. Es gehört auch zu einer besonderen Art der Darstellung.

Diese Form der Kreuzesdarstellung entwickelte sich in Mittelitalien, die „umbrischen Kreuzbilder“! Wir kennen Kruzifixe, also Skulpturen am Kreuz, oder Tafelbilder mit der Kreuzigung. Die Kreuzbilder sind Gemälde in Kreuzesform. Oft werden auch andere Szenen der Passion um den gekreuzigten herum dargestellt in kleinen Bildfeldern. Später zeigen diese Bilder nur noch den, dann leidenden, Christus.

Das Kreuzbild von San Damiano

Das Kreuz befindet sich heute in einer Kapelle der Grabeskirche der Hl. Klara in Assisi. Ich habe es bei meinen Besuchen dieser Kirche immer zuerst angesteuert und es hat mich wieder neu beeindruckt. Natürlich zieht der Christus mit seinen offenen Augen den Blick auf sich. Der Kopf ist nur leicht zur Seite geneigt.

Auch wurde das Gesicht durch einen Keil nach vorn und nach unten gebeugt. Man kann verstehen, dass Franziskus sich von diesen Christus angesprochen fühlte.

Die Arme des Gekreuzigten sind weit ausgebreitet, die Hände zeigen leicht nach oben, die Wundmale sind fast nur angedeutet, auch wenn dünne Fontäne Blutes herausspritzen.. Das klassische Symbol des Leidens, die Dornenkrone fehlt. Hier ist der schon Auferstandene am Kreuz, der uns mit ausgebreiteten Armen einlädt. „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin werde ich alle zu mir ziehen! (Johannes 12, 32)

Jesus ist nackt dargestellt um die Hüften das Lendentuch, wie wir es kennen. Doch dieses Lendentuch ist nicht nur da um die Scham zu verdecken. Es ist akkurat, fast symmetrisch gestaltet und wird durch einen außergewöhnlichen Knoten zusammengehalten, ein sog. Drehknoten. Auch geht das sorgfältig gefaltete Tuch bis zu den Knien. Es ist ein vornehmes Tuch. Das verbindet dann doch diesen Jesus mit dem König am Kreuz des Volto Santo!

Bedeutung haben auch die Figuren, die um den Gekreuzigten dargestellt sind. Maria und Johannes, die findet man auch bei den meisten anderen umbrischen Kreuzbilder. Dort sind sie aber allein. Bei unserem Kreuz sind zur Linken Jesu noch Maria Magdalena und Marta mit dem römischen Hauptmann, der bezeugte: dieser ist wirklich Gottes Sohn…

Rechts und links neben diese Figuren sind klein: Longinus, der Jesus die Seite durchbohrt und derjenige der ihm den Schwamm mit Essig reicht, der in der Legende Stepanon genannt wurde. Neben den Beinen ist ein Hahn zu sehen: "Ehe der Hahn kräht wirst du mich dreimal verleugnen…" (Matthäus 26, 75)

Je zwei Engel tragen quasi den Querbalken an dessen Ende je eine Gestalt gemalt ist. Auch die farbliche Gestaltung des Querbalkens lässt in ihm das leere Grab erkennen, mit den Beiden Männern: was sucht ihr den Lebenden bei den Toten.

Über dem Kopf die Kreuzesinschrift: Jesus von Nazareth, König der Juden.

Doch damit endet die Darstellung nicht. Darüber ist in einem roten Kreise, den er oben durchbricht, noch einmal Christus. Der Kreuzesstab zeigt ihn jetzt eindeutig als Auferstandenen. Er tritt ein in die Sphäre des Vaters, gezeigt durch die Schar der Engel, die ihn umgibt und natürlich durch die segnende Hand des Vaters!

Umrahmt ist das ganze Bild von einer Borte aus Muscheln. Muschel galten in der Antike als Zeichen für die Unterwelt, den Tod. Im Christentum dagegen wird die Muschel zum Symbol der Taufe. Auch steht die Muschel durch den Jakobsweg für die Pilgerschaft, auf dem Weg zu Gott sein.

Dieser Rahmen zeigt noch einmal die Breite dieser außergewöhnlichen Kreuzesdarstellung: Leiden Tod und das das Leben der Auferstehung in einem Bild.

Fast zu übersehen ist noch ein wesentlicher Aspekt. Zu Füßen Jesu, wohl durch Zeichen der Verehrung abgenutzt und kaum noch zu erkennen, sind Menschen zu sehen. Es ist heute deshalb nicht mehr eindeutig zu sagen, wer dargestellt ist. Manche deuten die beiden noch erkennbaren Gestalten als die Apostelfürsten Petrus und Paulus und vermuten, dass evtl. der Patron der Kirche Damiano, der Schutzheilige Assisis Rufino und andere umbrische Heilige die weiteren waren.

Wir können das getrost offen lassen. Wichtig ist, dass zu Füßen Jesu die Sphäre der Menschen zu finden ist genauso wie über ihm die Sphäre Gottes. Darin wird besonders deutlich, dass das Kreuz die Brücke ist. Die ausgebreiteten Arme am Querbalken verbinden die Menschen und in Christus ist die Brücke von uns Menschen zu Gott!

Im Herzen Jesu verknüpfen sich diese beide Brücken!

Gebet des Hl Franziskus vor dem Kreuzbild von San Damiano

Höchster, lichtvoller Gott,
erleuchte die dunkle Nacht in meinem Herzen.
Gib mir einen Glauben, der aufrichtet;
eine Hoffnung, die Halt gibt;
eine Liebe, die Maß nimmt an der Liebe Jesu Christi, deines Sohnes;
eine Erkenntnis, die weiterführt;
einen Sinn, der alles durchdringt.
Lass mich die Würde erfahren, die du mir schenkst
und die Aufgabe erfüllen, die du mir zugedacht hast!

(Übertragung Anton Rotzetter OFM Cap)

Pfarrer Matthias Ohlig