St. Bonifatius Wiesbaden

Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!

GemeindebriefPhilippe Jaeck

Was bedeutet „Umkehr„? Wie ist „Sünde“ zu verstehen? In der biblischen Gedankenwelt ist mit dem Begriff „Sünde“ Beziehungsstörung gemeint. Nur Gott kann Sünden vergeben und die zerstörten Beziehungen heilen.

Am Aschermittwoch beginnt die vierzigtägige Fastenzeit. „Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ – mit diesen Worten aus dem Markusevangelium (1,15) werden am Aschermittwoch alle, die an Jesus Christus als Gottes Sohn glauben, zur persönlichen Umkehr gerufen. Was bedeutet „Umkehr“? Eine andere Übersetzung dieser Stelle lautet: „Denkt um / bereut eure Sünden, und glaubt an das Evangelium!“ Es kann hilfreich sein, mehrere Deutungen einer Bibelstelle anzuschauen, um dem Kern der Botschaft näher zu kommen.

Es geht um das Wahrnehmen und Nachdenken, was und wie wir leben. Es geht dabei um Unterscheidung, ob mein, ob unser gemeinsames Leben zu Gutem oder zu Bösem führt. Der Begriff „Sünde“ wird in unserem alltäglichen Leben eher vermieden. Das ist auch verständlich, besonders für die ältere Generation, die als Kinder vielleicht mehr als genug Höllenpredigten gehört haben. Es wurde Angst vor den Sündenstrafen eingejagt statt Gottes Barmherzigkeit und seine vergebende Liebe zu vermitteln. Allmählich wird dieses Wort aber wieder benutzt – ausdrücklich in Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Priester und andere kirchliche Angestellte. Und das hat auch seine Berechtigung. Denn die Betroffenen sexualisierter Gewalt haben durch die Täter entsetzliches Leid erfahren!

In der biblischen Gedankenwelt ist mit dem Begriff „Sünde“ Beziehungsstörung gemeint. Sünde ist eine Störung in zwischenmenschlichen Beziehungen. Schuldhaftes Verhalten hat nicht nur eine horizontale Dimension, sondern auch immer eine vertikale, weil es auch die Gottesbeziehung betrifft. Die Sünden haben ihre Auswirkung auch in der ganzen Welt. Diese stören oder zerstören die von Gott her geordneten Lebensbereiche, sowohl die gesellschaftlichen als auch die kosmischen. Drastisch erfahrbar wird dies in unserer Zeit zum Beispiel durch die Klimaerwärmung und die häufig gewordenen Naturkatastrophen, die viele Menschenleben gekostet haben und die schon so bittere Armut in vielen Ländern noch größer machen. Dazu gehört auch die Corona-Pandemie, die uns noch immer plagt. Die Weltordnung, die Beziehungen zwischen Menschen und der Natur sind auf unserem Planeten Erde gestört. Das ist die „Sünde der Welt, welches das Lamm Gottes wegnimmt“ (Johannes 1,29), Strukturen die dazu führen sündig zu werden, wenn wir in ihnen verstrickt sind. Diese „Strukturelle Sünde“ erleben wir ja gerade schmerzlich im Vertuschungssystem beim sexuellen Missbrauch in der Kirche. Die Heilung kann nur mit dem Aufdecken der Strukturen und dem Bekenntnis und der Reue der Beteiligten beginnen.

Denkt um! Das bedeutet, eine andere Sicht entwickeln, die dem Leben dient, die die gestörten Beziehungen wieder heilt. Es gibt viele Bereiche in der Gesellschaft, die umgedacht werden müssen, um das Leid zu lindern. Viel Gutes ist in dieser Richtung schon gemacht. Viele Frauen und Männer in unserer Kirche setzen sich für eine bessere Welt ein. Wie ist es mit mir? Gehen die globalen Prozesse auch mich persönlich an? Wie kann ich meinen Alltag naturfreundlich gestalten? Was kann ich dazu beitragen, damit die Armut und die Kriege auf der Welt weniger werden? Was kann ich tun, um die Weltordnung, die Beziehungen in der Weltgemeinschaft und im Kosmos zu ändern, damit das Leben auf Dauer auf unserem Planeten möglich wird?

Ebenso gibt es Bereiche in unserer Kirche, die umgedacht werden müssen. Es ist schon viel darüber gesprochen worden, was wir tun können, um die sexuallisierte Gewalt in der Kirche zu vermeiden. Einiges davon ist schon in die Tat umgesetzt worden, zum Beispiel in Form von Schutzkonzepten. Trotzdem stehen wir auf diesem Weg der Aufarbeitung noch ziemlich am Anfang. Auf struktureller Ebene muss von Seite der Kirche weiterhin den Fragen nachgegangen werden: Warum war es möglich, dass diese schweren Verbrechen jahrzehntelang in der Institution Kirche stattfinden konnten? Was ist zu tun, um das zum Positiven zu ändern? Es gibt außerhalb der sexualisierten Gewalt noch andere Bereiche, die in unserer Kirche ein Umdenken bedürfen. Die moderne Wissenschaft zeigt zum Beispiel, dass sexuelle Orientierungen – heterosexuelle, wie auch nicht-heterosexuelle – in der menschlichen Natur, in der Schöpfung Gottes ihren Grund haben und deshalb nicht moralisch zu bewerten sind. Es bedarf des Hinschauens und Umdenkens im Sinne eines prüfenden, aber liebevollen Blicks Gottes: auf die Rechte der Frauen in der Kirche; auf die Rechte der Priesterkinder, die mit dem Gefühl leben müssen, auf dieser Welt nicht sein zu dürfen; auf die Rechte der Geschiedenen, die an den zerbrochenen familiären Beziehungen schon genug leiden …

Denkt um! Bereut die Sünden! Erneuert die gestörten und die zerstörten Beziehungen! Kehrt um und glaubt an das Evangelium! Das will Gott von uns.

Im Gleichnis vom verlorenen Sohn zeigt Jesus uns etwas sehr Wichtiges. Der jüngere Sohn hat in der Fremde sein Erbe durchgebracht. Er leidet Hunger und stellt fest, dass das Leben bei seinem Vater ein besseres Leben ist. Er entschließt sich zur Rückkehr und will dem Vater gegenüber seine Schuld bekennen: „Ich werde aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner!“ (Lk 15, 18-19). Doch das wird er erst gar nicht sagen können, weil „Der Vater sah ihn schon von Weitem kommen und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn“ (Lk 15, 20).

Das Erbarmen des Vaters geht dem Schuldbekenntnis des Sohnes zeitlich voraus. Der liebende und barmherzige Gott wartet auf uns, dass wir zu ihm kommen. Seine Vergebung geht unseren Sünden voraus.

Nur Gott kann die Sünden vergeben. Gott selbst in Jesus Christus heilt die gestörten und die zerstörten Beziehungen. Jesus Christus’ Kreuzestod und seine Auferstehung gehen unseren Sünden voraus und schenken uns Vergebung und Versöhnung. Darüber spricht der Apostel Paulus in seinem Brief an die Römer:„Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht gemacht sind, werden wir durch ihn erst recht vor dem Zorn gerettet werden. Da wir mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Gottes Feinde waren, werden wir erst recht, nachdem wir versöhnt sind, gerettet werden durch sein Leben.“ (Röm 5, 8-10)

Kann ich es zulassen, dass auch ich schuldig geworden bin, dass ich gesündigt habe? Welche Beziehungen wurden auch durch meine Schuld gestört oder sogar zerstört?

Kehrt um, und glaubt an das Evangelium! Gottes Vergebung ist schon da. Gott wartet auf uns und er will uns in seine Arme schließen.

Schwester Katrina Dzene, Gemeindereferentin
Bild: Rembrandt Harmenszoon van Rijn „Die Rückkehr des verlorenen Sohne“, gemeinfrei