St. Bonifatius Wiesbaden

Krippenspiel

Gemeindebrief, Theologie SpiritualitätPhilippe Jaeck

Krippenspiele gehören zum Heiligabend! Kinder haben Freude am Spiel der Weihnachtsgeschichte und die Eltern schauen stolz zu.

Beim Spiel gibt es unterschiedliche Rollen, mehr oder weniger beliebt. Der Herbergsvater oder die Wirtin, die doch so böse die werdenden Eltern abweisen, sind keine dankbaren Rollen. In vielen Krippenspielen wird etwas groß in Szene gesetzt, was eigentlich im Evangelium gerade mal ein Halbsatz ist: „...weil in der Herberge kein Platz für sie war.“.

Ja, in der Herberge, der Karawanserei, war kein Platz für sie, weil diese generell kein Platz für eine Gebärende ist. Dort ist es laut, es gibt meist ein großes Gedränge. Hinzu kommen die jüdischen Reinheitsregeln, denn alles, was mit der Geburt in Berührung kommt: Menschen, Räume, Stoffe, Gegenstände, muss in aufwendigen Prozessen rituell gereinigt werden. So etwas hält kein Herbergsbetrieb aus.

Deshalb findet die Geburt am Rande der Stadt, wahrscheinlich in einer Wohnhöhle oder einer einfachen Behausung, statt, wo Mensch und Tier nah beieinander leben, bestenfalls durch eine niedrige Mauer getrennt. Unsere Vorstellung vom Stall trifft die damalige Realität gar nicht und stammt eher aus dem Mittelalter.

Der „Erfinder“ des Krippenspiels, der Hl.Franz von Assisi, verlegte vor 798 Jahren seine Feier richtigerweise hinaus aus der Kathedrale von Rieti, wo der Bischof mit allem Pomp die Christmette feierte, auf eine Anhöhe am Rande des Rietitales bei Greccio, in eine Höhle. Ob es dem Gespür des Hl. Franziskus erwachsen ist, oder weil er bei seinem Aufenthalt im Heiligen Land die Wohnverhältnisse erfahren hat, sei dahin gestellt.

Die Gefährten von Franziskus erzählten dem ersten Biografen des Heiligen, Thomas von Celano, in aller Farbigkeit, was in dieser Christnacht von 1223 geschehen ist:

Sein höchstes Streben, sein vornehmster Wunsch und seine oberste Lebensregel, war das heilige Evangelium in allem und durch alles zu beobachten. Vor allem war es die Demut der Menschwerdung Jesu und die durch sein Leiden bewiesene Liebe, die seine Gedanken derart beschäftigten, dass er kaum an etwas Anderes denken wollte. - Daher muss man jener Feier gedenken und sie ehrfurchtsvoll erwähnen, die er im dritten Jahr vor seinem Hinscheiden bei einem Dorf namens Greccio am Tage der Geburt unseres Herrn Jesus Christus abgehalten hat.

„In jener Gegend lebte ein Mann mit Namen Johannes, von gutem Ruf, aber noch besserem Lebenswandel. Ihm war der selige Franziskus in besonderer Liebe zugetan. Diesen ließ nun der selige Franziskus zu sich rufen, etwa vierzehn Tage vor der Geburt des Herrn, und sprach zu ihm: „Wenn du wünschst, dass wir bei Greccio das bevorstehende Fest des Herrn feiern, so gehe eilends hin und richte sorgfältig, was ich dir sage. Ich möchte nämlich das Gedächtnis an jenes Kind begehen, das in Bethlehem geboren wurde, und ich möchte die bittere Not, die es schon als kleines Kind zu leiden hatte, wie es in eine Krippe gelegt, an der Ochs und Esel standen, und wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar als möglich mit leiblichen Augen schauen.“ – Als der gute Mann das hörte, lief er eilends hin und rüstete an dem genannten Ort alles zu, was der Heilige angeordnet hatte.

Es nahte der Tag der Freude, die Zeit des Jubels kam heran. Aus mehreren Niederlassungen wurden die Brüder gerufen. Männer und Frauen jener Gegend bereiteten, so gut sie konnten, freudigen Herzens Kerzen und Fackeln, um damit jene Nacht zu erleuchten, die mit funkelndem Sterne alle Tage und Jahre erhellt hat. Endlich kam der Heilige, fand alles vorbereitet, sah es und freute sich. Nun wird eine Krippe zurechtgemacht, Heu herbeigebracht, Ochs und Esel herzugeführt.

Zu Ehren kommt da die Einfalt, die Armut wird erhöht, die Demut gepriesen, und aus Greccio wird gleichsam ein neues Bethlehem. Hell wie der Tag wird die Nacht, und Menschen und Tieren wird sie angenehm. Die Leute eilen herbei und der Wald erschallt von den Stimmen, und die Felsen hallen wider von dem Jubel. Die Brüder singen und bringen dem Herrn das schuldige Lob dar, und die ganze Nacht jauchzt auf in hellem Jubel. Über die Krippe wird ein Hochamt gefeiert, und Franziskus legt die Levitengewänder an – denn er war Diakon – und singt mit wohlklingender Stimme das heilige Evangelium. Dann predigt er dem umstehenden Volk von der Geburt des armen Königs und bricht in Lobpreis über die kleine Stadt Bethlehem aus. Oft wenn er Christus „Jesus“ nennen wollte, nannte er ihn nur „das Kind von Bethlehem“, und wenn er „Bäthlähäm“ aussprach, klang es wie von einem blökenden Lämmlein. Mehr noch als vom Worte floss sein Mund über von Liebe. Wenn er das „Kind von Bäthlähäm“ oder „Jesus“ nannte, dann leckte er gleichsam mit der Zunge seine Lippen, indem er mit seinem Gaumen die Süßigkeit dieses Namens verkostete.

Ein frommer Mann hatte eine wunderbare Vision. Er sah nämlich in der Krippe einen leblosen Knaben liegen; zu diesem sah er den Heiligen Franziskus herzu treten und das Kind wie aus tiefem Schlaf erwecken. Gar nicht unzutreffend ist dieses Bild; denn der Jesusknabe war in vielen Herzen vergessen. Da wurde er in ihnen durch seinen heiligen Diener Franziskus wieder erweckt und eingeprägt. Endlich beschließt man die nächtliche Feier, und ein jeder kehrt in seliger Freude nach Hause zurück.

Das Heu, das in der Krippe gelegen, bewahrte man auf, und es geschah, dass in der umliegenden Gegend viele Tiere, die verschiedene Krankheiten hatten, von diesen befreit wurden, wenn sie von dem Heu fraßen. Ja, auch Frauen, die unter schweren und lange dauernden Geburtswehen zu leiden hatten, ließen sich von dem Heu auflegen und konnten dann glücklich gebären. Auch erlangten dort herbeiströmende Pilger die ersehnte Heilung von verschiedenen Unglücksfällen. –

Später wurde an der Stelle, an der die Krippe gestanden, ein Altar errichtet und eine Kirche gebaut, damit dort, wo einst die Tiere Heu fraßen, in Zukunft die Menschen zum Heil des Leibes und der Seele das Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus genießen könnten, der in höchster und unaussprechlicher Liebe sich selbst für uns hingegeben hat und der mit Vater und dem Heiligen Geist lebt in alle Ewigkeit.

Amen. Alleluia, Alleluia.“

(Thomas von Celano, Vita I, 1 Celano 84 ff)

In dieser Krippenfeier zeigt sich die ganze Erotik der Spiritualität des Franz von Assisi. Erotik natürlich nicht im verkürzten Sinn, wie dieses Wort bei uns heute gebraucht wird! Es geht um Leidenschaft - Leidenschaft für den menschgewordenen Gott, die sich ganz leiblich ausdrückt. Das brach bei ihm immer wieder in leiblichen Inszenierungen Bahn, ob er mit zwei Stöcken „Geige spielend“ und tanzend das Lob Gottes besang oder sich zuletzt so sehr in das Kreuzesgeschehen hinein begab, dass sich die Wunden Jesu auf seinem Leib abbildeten.

So ist es nicht verwunderlich, dass er auch und gerade die Menschwerdung inszenieren wollte. Er wolltemit allen Sinnen sehen, riechen, verkosten, hören und ertasten was es bedeutet: Gott wird Mensch! Dem Bericht vom ersten Krippenspiel ist sie immer wieder anzumerken; die Sinnlichkeit mit der Franziskus und die anderen es erlebt haben: Seufzen, Mitleid,Jubel, ja sogar jubelnde Felsen, Lippen, die den Namen Jesu schmecken, Bät-lä-häm, geblökt wie ein Schaf…

In seiner Krippenfeier verdichtete Franz symbolisch auch sein positives Verständnis von Leib, Materie und Schöpfung.

Über dem Altar in der Grotte von Greccio zeigt ein Fresko auf der linken Seite wie Franziskus bei seiner Feier das Kind in die Krippe legt, daneben ist das Geschehen von Bethlehem dargestellt. Direkt über dem Altar, der zelebrierende Priester hat es direkt im Blick, Maria, die dem Neugeborenen die Brust gibt. Was unseren Augen, durch die bürgerliche Moral des 19. Jahrhunderts geprägt, eher unangemessen, manchen gar anstößig anmutet, war im Mittelalter eine gängige Darstellung: die „Madonna Lactans“. Im Relief über dem Hauptportal des Doms von Assisi, wo Franz in einer seiner Inszenierungen seinem leiblichen Vater seine Kleider vor die Füße warf und er sich zum himmlischen Vater bekannte, ist die Madonna Lactans, dort allerdings gekrönt, auf einem Thron sitzend dargestellt. In Greccio ist sie die einfache Frau, ganz irdisch, menschlich. Die Demut, die „Humilitas“ dem Humus, der Erde zugewandt, die Demut Gottes, so wie es Franz sagte, denn für ihn ist Weihnachten „das Fest der Feste, an dem Gott an menschlichen Brüsten hing“!

Im Spiel, im Ritual, erlebt der Mensch sich ganz, in seinen Höhen und Tiefen, die ganze Existenz. Ritual verlangt nach jährlicher Wiederholung, von der Christnacht 1223 bis zu den Krippenspielen heute bei uns, und wenn es im Krippenspielfilm in Coronazeiten (siehe unten) ist!

Pfr. Matthias Ohlig