St. Bonifatius Wiesbaden

Von Blauen Wundern, Vogelstimmen und einer Sonnenuhr

Aus dem Leben der Pfarrei, Musik Kultur KircheAutor
Spektakulär war die Lichtinstallation des „Kana“-Lichtteams, auf Musik genau abgestimmt, die den Kirchenraum in bunten Farben und jeder Menge Bühnennebel erstrahlen ließ.Foto: Anja Baumgart-Pietsch

Spektakulär war die Lichtinstallation des „Kana“-Lichtteams, auf Musik genau abgestimmt, die den Kirchenraum in bunten Farben und jeder Menge Bühnennebel erstrahlen ließ.Foto: Anja Baumgart-Pietsch

Interesse an der Nacht der Kirchen ist ungebrochen hoch – Mehrere tausend Besucher unterwegs

Wiesbaden. Am Ende wurde es noch mal richtig politisch: „Verlasst eure Komfortzonen, runter vom Sofa. Geht dahin, wo es weh tut“, forderte der evangelische Dekan Dr. Martin Mencke die Besucher bei der ökumenischen Schlussandacht in der Nacht der Kirchen auf. 

Wir Christen müssen in die Wüsten unserer Welt, da wo Menschen in Not nicht mehr gerettet werden; zu den Hassbrüdern unserer Zeit, die den Strom der Liebe brauchen.
— Dekan Dr. Martin Mencke

Auch wenn bei der Andacht zu später Stunde nur noch rund 100 Menschen in der anglikanischen Kirche zusammen kamen, waren über den Abend verteilt mehrere tausend Kirchennacht-Besucher unterwegs, um die Wiesbadener Gotteshäuser zu erkunden, zu singen, zu beten und zu erleben, was alles unter dem Dach des christlichen Glaubens möglich ist.

Die Bergkirche war voll besetzt, als die beiden Pfarrer Markus Nett und Helmut Peters in die Rollen eines Arbeiters im Weinberg und eines Sommeliers schlüpften, die Lutherkirche zählte mehr als 1000  Besucher, die kleine Schwalbe 6 platzte mit fast 300 Besuchern aus allen Nähten. Dreifaltigkeit und die katholische Jugendkirche Kana wurden jeweils von rund 500 Menschen besucht. „Unter die Haut“ ging den mehreren 100 Besuchern in der Altkatholischen Friedenskirche die Bilder, Texte und Gebete zu Frieden und Schöpfung. „Hier war ich noch nie“, sagte eine Besucherin, die es anschließend zur Bergkirche zog: Ein Beweis dafür, dass die „Nacht der Kirchen“ Menschen anzieht, die sonst weniger in diesen Gebäuden zu finden sind, aber dennoch neugierig, was sich hinter den Portalen verbirgt.

Dass die Nacht der Kirchen seit mittlerweile 17 Jahren auf so ungebrochen großes Interesse bei den Wiesbadenern stößt, freut die Veranstalter. Der katholische Stadtreferent Thomas Weinert sagt: 

Die Nacht der Kirchen öffnet die Türen der Gotteshäuser für alle Menschen, egal welcher Religion oder Herkunft. Das ist gerade in diesen Tagen von besonderer Bedeutung. Nicht zuletzt deshalb setzt diese Nacht einen deutlichen ökumenischen Akzent. Es sind alle eingeladen.
— Bezirksreferent Thomas Weinert

Ein Triptychon in einer Kirche ist kein ungewöhnlicher Anblick – wohl aber das Motiv, das Juliane Gottwald hier auf die Leinwand gebannt hat: Drei leckere Kreppel, deren fruchtige Füllung dem Betrachter entgegenquillt. Spargelköpfe, riesige Pflaumen, Kohlblätter oder Tulpenblüten: „Früchte im Garten Eden“ heißt die Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit der Galerie Mainzer Kunst in der evangelischen Kreuzkirche gezeigt wird. Bis zum 21. Oktober sind die großformatigen, farbstarken Bilder zu sehen, die Vernissage hatte die Gemeinde passend zur „Nacht der Kirchen“ terminiert. Vorher spielte der Posaunenchor auf den Kirchentreppen, hinterher gab es einen dänischen Stummfilm aus dem Jahre 1918 mit Orgelbegleitung und einen spektakulär beleuchteten Kirchturm. 

Besonders interessant war in der Jugendkirche Kana die Station „Sonnenzeit“ mit dem Wiesbadener Sonnenuhrbauer Carlo Heller, der seine selbst entwickelten Stücke vorstellte. Foto: Anja Baumgart-Pietsch

Besonders interessant war in der Jugendkirche Kana die Station „Sonnenzeit“ mit dem Wiesbadener Sonnenuhrbauer Carlo Heller, der seine selbst entwickelten Stücke vorstellte. Foto: Anja Baumgart-Pietsch

Die katholische Kirche Maria Hilf war an diesem Abend im Outfit der Jugendkirche „Kana“. Dort hieß das Thema „Zeit-Los?“ Das Kirchenteam hatte verschiedene Erlebnisstationen zum Thema Zeit aufgebaut, die die Besucher zum Reflektieren und Mitmachen aufforderten. Wie viel Zeit zum Beispiel mit Mediennutzung oder im Straßenverkehr verbracht wird, ist vielen gar nicht so klar. Aber auch der Zeitbegriff in der Bibel, „Alles hat seine Zeit“, war ein Thema. Besonders interessant die Station „Sonnenzeit“ mit dem Wiesbadener Sonnenuhrbauer Carlo Heller, der seine selbst entwickelten Stücke vorstellte. Spektakulär war die Lichtinstallation des „Kana“-Lichtteams, auf Musik genau abgestimmt, die den Kirchenraum in bunten Farben und jeder Menge Bühnennebel erstrahlen ließ.

Sehr viel leisere Töne konnte man in der kleinen Krankenhauskapelle des St. Josefs-Hospitals vernehmen, die vom renommierten Künstler Eberhard Münch gestaltet wurde. Sein blau-goldenes Altarbild beeindruckt auf ganz stille Weise. Krankenhauspfarrer Klaus Krechel las Texte und Gebete und ließ Orgelmusik erklingen – die dort versammelte Gruppe war eher klein.

Mit einem tollen Solistenquintett gab es in der katholischen Kirche Dreifaltigkeit zweimal eine Stunde Musik von Bach, Doles und Walther. Foto: Anja Baumgart-Pietsch

Mit einem tollen Solistenquintett gab es in der katholischen Kirche Dreifaltigkeit zweimal eine Stunde Musik von Bach, Doles und Walther. Foto: Anja Baumgart-Pietsch

Fünfhundert Gäste hingegen zählte Daniel Detambel in der Dreifaltigkeitskirche im Laufe des Abends. Der Kirchenmusiker hatte sich für ein Programm unter dem Leitmotiv der Freude entschieden. „Jesu meine Freude“ ist ein Text, der nicht nur von Johann Sebastian Bach, sondern von vielen anderen Komponisten vertont wurde. Mit einem tollen Solistenquintett gab es zweimal eine Stunde Musik von Bach, Doles und Walther, dazwischen ein Orgelkonzert von Detambel mit „freudiger“ Bach-Musik in der von vielen Kerzen illuminierten Kirche.

Nur einen kurzen Weg hatten die Kirchennacht-Besucher dann zur Lutherkirche, wo der Turm erklettert werden konnte. Pfarrer Volkmar Thedens-Jekel erklärte die Mechanik der Turmuhr, die Geschichte der Glocken und zeigte, welch schönen Blick man aus der luftigen Höhe von 60 Metern hat. Nach weiteren musikalischen Programmpunkten klang in der Lutherkirche der Abend mit einer biblischen „Zeitreise“ aus, bei der die Zuhörer eingeladen waren, selbst in die Rollen biblischer Gestalten zu schlüpfen. Oder im Foyer bei Wein und belegten Brötchen über die Ereignisse der Nacht zu reflektieren und sich auszutauschen, welches Konzert, welches Kabarettprogramm oder welche Ausstellung wohl schöner war.

Warten auf das blaue Wunder: Die katholische Kirche St. Birgid in Bierstadt ist im Rausch der Farben. Zu jedem Programmpunkt wird der Kirchenraum in einer anderen Farbe ausgeleuchtet. Mystisch sieht es aus. Fotos: Andrea Wagenknecht

Warten auf das blaue Wunder: Die katholische Kirche St. Birgid in Bierstadt ist im Rausch der Farben. Zu jedem Programmpunkt wird der Kirchenraum in einer anderen Farbe ausgeleuchtet. Mystisch sieht es aus. Fotos: Andrea Wagenknecht

Gerade die Außenorte – in diesem Jahr Bierstadt, Kloppenheim, Igstadt, Breckenheim und Nordenstadt – profitierten von der etablierten Großveranstaltung. Erstmals ist mit der Move Church auch eine evangelische Freikirche mit dabei gewesen. Uta Herrmann von der Move Church zeigte sich begeistert: „Wir hatten rund 300 Besucher über den Abend. Besonders gut wurde der Gebetsgarten genutzt. Ein Raum mit verschiedenen Gebetsstationen, einer Klagemauer, Gebet für Danksagungen, einer Creative Wall, einer Abendmahlstation und einer Station für Heilungsgebete. All das wurde rege in Anspruch genommen.“

In einen Farbenrausch verwandelte sich der Innenraum von St. Birgid in Bierstadt. In der Mitte des Abends war das katholische Gotteshaus blau ausgeleuchtet und wirkte fast mystisch. „Sie sitzen jetzt hier und wollen noch ein blaues Wunder erleben?“, fragte eine der Organisatorinnen. Dass die Farbe Blau seinerzeit keinen guten Ruf hatte, zeigt sich in solchen Redewendungen. Denn ein  blaues Wunder  sei eine unschöne Überraschung. „Das Blau ist damals ganz schön arm dran gewesen“, so Ursula Horsten aus der Gemeinde, denn es stand für Lüge und Täuschung, aber auch für die Weite. Deswegen wirkt blau heute für viele Menschen entspannend und beruhigend.

Der Abend in Kloppenheim begann mit dem Märchen vom Froschkönig. In die Erzählung waren kurze Musikstücke von Lance Ecclestone eingeflochten, die von einem Blockflöten-Ensemble um die Kloppenheimerin Petra Löser präsentiert wurden und den Text musikalisch kommentierten. Staunend verfolgten knapp 90  Besucherinnen und Besucher, darunter auch viele Kinder, wie das Ensemble zwischen den verschiedenen Flöten wechselte. Die kleinste Flöte war kaum mehr als zehn Zentimeter lang, die beiden größten Flöten zwei Meter lang und dick wie ein Ofenrohr. Zwischen den Programmpunkten ertönten Vogelstimmen in der Kirche. „Das war ein echtes Überraschungsmoment“, freute sich die Kloppenheimer Pfarrerin Eva-Maria Spinola. 

Die Kirche in Igstadt hat sich dem Thema „Kreuzweg“ gewidmet. Künstler aus dem Creativatelier „Alte Ziegelei“ in Igstadt haben sich dem Thema in Aquarellen und Collagen genähert. Herausgekommen sind unterschiedliche, aber sehr eindrückliche Bilder, die Pfarrer Dietmar Fippinger in der Kirchennacht mit seinen Worten ausdrucksstark interpretierte. Zu dem Bild „Keep smiling“, in dem es um Flucht geht, sagte er: „Auf der Flucht, das Boot gekentert. Blut – von Menschen – ertrunken. In der nahen Stadt Ignoranz: keep smilig.“ Und weiter: „Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden und haben dir nicht gedient?“

Dass die erste Nacht der Kirchen in Igstadt ein so voller Erfolg war, hat die Gemeinde beeindruckt, so Barbara Marschall aus dem Kirchenvorstand: „Wir hatten sogar zu später Stunde um 22.30 Uhr noch Besucher aus anderen Stadtteilen. Alle waren sehr angetan von unserer kleinen Kirche.“

Andrea Wagenknecht, EKHN