Die Adventszeit ist nicht die Weihnachtszeit, sondern einfach eine Zeit des Wartens.
Das Leben eines jeden Menschen kennt besondere Zeiten, die sich von allem anderen dadurch absetzen, dass in ihnen etwas Unverwechselbares geschehen ist. Solche Zeiten können geprägt sein durch große und schöne, aber auch durch bittere und leidvolle Erlebnisse. Keine Zeit ist wie die andere. Nur eines haben alle Zeitpunkte des Lebens gemeinsam: Sie gehen vorüber.
Der rechte Umgang mit der Zeit will gelernt sein und ist in einer Welt, in der alles immer schneller zu gehen scheint, gar nicht einfach. Es hängt viel davon ab, zu erkennen, was die Zeichen der Zeit sind und „was die Stunde geschlagen hat“. Sonst ist Zeit bald auch verschwendete Zeit. In der Geschäftigkeit und Geschwindigkeit unseres Alltags wünschen wir uns mehr Zeit für jene Dinge, die uns eigentlich wichtig sind.
Alles hat seine Zeit! Wir stehen in der Adventszeit. Advent bedeutet „Ankunft“. Die Adventszeit ist eine Zeit des Wartens auf die Ankunft des Herrn, ein Warten auf das Kommen Gottes in unsere Welt. Das feiern wir an Weihnachten. Die Adventszeit ist nicht die Weihnachtszeit, sondern einfach eine Zeit des Wartens.
Können wir heute noch warten? Bisweilen drängt sich beim aufmerksamen Beobachten vorweihnachtlicher Aktivität die Frage auf, ob wir überhaupt noch warten können. Zwischen Glühweinständen und Lebkuchenregalen ist vom „Warten“ nichts zu bemerken. Feiern wir nicht Weihnachten schon, bevor das Fest und damit die eigentliche Weihnachtszeit beginnt? Die zahlreichen Weihnachtsfeiern und der Weihnachtsgeschenkeeinkaufsmarathon lassen nichts erkennen von jener Stille, die das Warten eigentlich umgibt. Haben wir das Warten verlernt?
Nur derjenige kann warten, der auch etwas zu er-warten hat. Nur der kann warten, der eine Hoffnung hat. Advent bedeutet „warten“, weil es ein Zugehen auf jene Hoffnung ist, die uns im menschgeborenen Gott Jesus Christus geschenkt ist.
Wenn wir Weihnachten feiern, dann sprechen wir von einem „wunderbaren Tausch“: Gott wird Mensch, damit wir Menschen Anteil am göttlichen Leben haben; der Ewige wird ein Zeitlicher, damit wir Zeitlichen mit der Ewigkeit beschenkt werden. Hinter der Krippe von Bethlehem leuchtet schon das Licht von Ostern, von der Auferstehung, vom ewigen Leben auf.
So gesehen ist unsere Lebenszeit nicht einfach ein „Vorbeigehen“ und damit ein „Verlorengehen“. Unsere Lebenszeit ist vielmehr ein Geschenk. Sie soll auch ganz Advent sein; sie soll ganz ein „Warten“ sein auf das Leben in Fülle, das wir im Glauben von Gott her er-warten.
Alles hat seine Zeit. Wer im Advent warten kann, wird ein Mensch der Hoffnung. Und so wird er offen dafür, dass Gott in ihm an Weihnachten aufs Neue geboren wird.
Klaus Nebel, Pfarrer
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