St. Bonifatius Wiesbaden

Getragen in den Wellen des Lebens

Theologie SpiritualitätAutor

Dieser eine Moment, wenn du dich nicht von den Sorgen treiben lässt, sondern voll Vertrauen sagen kannst: Oh mein Gott, wie schön und gut ist es!

Einen Moment Ruhe im Sturm – das sind für viele die Ferien. Eine Weile lang die Sorgen vergessen, die Seele baumeln lassen und die Akkus wieder aufladen. Ganz gleich ob am Meer, in den Bergen, im Zelt oder im Hotel, in der Stadt oder am Ende der Welt – es werden neue Eindrücke gesammelt und es wird aufgetankt, um sich so gestärkt wieder ins Getümmel des Alltags zu stürzen.

Doch sind die Sorgen und die Fragen in den Ferien dann ganz weg? Können wir soweit abschalten und den Alltag aus unseren Köpfen verbannen, dass wir wirklich ganz frei sind? Manchmal grummelt es doch unter der Oberfläche weiter, manchmal merkt man selbst im schönsten Urlaub, dass da in der Ferne wieder der Sturm der Routinen wie bedrohliche Wolken in das Panorama der Entspannung zieht.

Ein erfahrener Surfer hat mit mir einen Abend zusammen philosophiert und seine wichtigste Erkenntnis geteilt: „Du vergisst all deine Sorgen, wenn so eine Drei-Meter-Welle auf dich zurast“. Dieser Moment, in dem man in Sekundenbruchteilen reagieren muss, auf den richtigen Kurs paddeln will und alles genau passen muss, um getragen zu werden, der ist ganz wichtig für den Surfer. Da darf nichts anderes hinein in diesen Moment, keine Alltäglichkeit, keine Bankkurse, kein Gedanke an andere Sorgen und Probleme.

Es hat ein bisschen gedauert, bis ich selbst diese Erfahrung machen konnte, bis ich eines Tages draußen im Ozean war, friedlich mit Anderen auf den Surfbrettern liegend – und auf einmal fängt die Horizontlinie an sich nach oben zu verschieben und hektische Bewegung macht sich breit, jeder und jede versucht sich in die beste Position zu bringen. Immer näher und größer baut sich die Welle hinter einem auf, wie ein Berg, der auf einen zurast. Schließlich hebt einen das Wasser hoch und man blickt kopfüber nach unten in das immer tiefer werdende Tal vor der Welle. Jetzt gilt es: Alle Spannung zusammen nehmen und springen. Wird es gelingen?

Für einen Moment stehe ich, gleite die Welle herunter, spüre den Wind im Gesicht. Es ist wie ein vollkommener Moment des Glücks. Bis ich mir im Kopf für den Bruchteil einer Sekunde überlege: „Wie war das noch mal mit der Gewichtsverlagerung, um nicht zu schnell zu werden“. Der Gedanke ist noch nicht zu Ende gedacht, da durchzuckt mich eine Angst, und im selben Moment verliere ich die Kontrolle, stürze, und für eine gefühlte Minute fühle ich mich wie meine Socken im Schleuderwaschgang, schlage Purzelbäume und werde auf den Boden gedrückt. Es braucht eine Weile, bis ich wieder weiß, wo oben und unten ist und ich meine Orientierung wieder finde. Was für eine Erfahrung – zwischen vollkommenem Glück und absolutem Sturz lag nur der Bruchteil einer Sekunde.

Immer wieder muss ich daran denken, wenn wir in der Bibel davon hören, dass Petrus eine ganz ähnliche Erfahrung gemacht hat: Jesus begegnet den Jüngern auf dem See, auf dem Wasser gehend. Und er lädt Petrus ein, zu ihm zu kommen. Der springt aus dem Boot und, oh Wunder, es funktioniert, bis zu dem Moment wo sich wieder die Bedenken einschalten und da verliert er den Halt, sinkt und geht unter. In der einen Sekunde spürt er, wie es ist, von Gnade getragen zu sein, im nächsten Moment bricht die Panik durch und macht alles zunichte.

Das ist wie in so vielen Situationen auch: Da türmen sich Fragen und Probleme vor einem auf, immer größer und bedrohlicher, immer näher und scheinbar unüberwindlich. Wie oft haben wir das erlebt, dass uns die Probleme zu groß wurden, wie schnell hat man sich vor Sorge oder Angst aus der Spur bringen lassen?

Wenn man beim Surfen im Urlaub am Strand ist, braucht man die Ruhezeiten, um zu reflektieren, was beim letzten Startversuch schief gelaufen ist. Da überlegt man, um es das nächste Mal besser zu machen. Und nach dem Luftholen und Reflektieren schnappt man sich sein Brett und stürzt sich neu in die Wogen. Und siehe da: Auf einmal klappt es, man lässt sich nicht von der Angst unterdrücken, sondern was sich vor kurzem noch bedrohlich aufgetürmt hat, trägt einen und lässt einen gleiten und bringt einen vorwärts. Dieser eine Moment, wenn du dich nicht von den Sorgen treiben lässt, sondern voll Vertrauen sagen kannst: Oh mein Gott, wie schön und gut ist es.
Auch der Urlaub selbst ist eine solche Ruhezeit: Nicht um vor den Problemen zu fliehen und so zu tun, als ob sie nicht da wären. Sondern um Kraft zu schöpfen, um sie zu meistern. Nicht um sich wegzuducken, sondern um sich stark zu machen. Nicht um sich die Dinge schön zu reden, sondern um sie nach dem Urlaub anpacken zu können. Dann werden uns die Wellen des Lebens nicht überrollen, sondern anschieben. Dann werden wir nicht die Orientierung verlieren, sondern unseren Weg finden.

Und in diesem Sinne wünsche ich uns allen eine erholsame Sommerzeit: Dass wir alle neue Kraft schöpfen, damit uns die Wellen des Lebens neu tragen und wir im Vertrauen und im Glauben unsere Schwächen und Ängste überwinden.

Ihr Kaplan Simon Schade

Bildnachweis:
Titelbild des Gemeindebriefs: „Surfer on Blue Ocean Wave in the Tube Getting Barreled" von EpicStockMedia / Fotolia